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Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen

Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen

Titel: Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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Daumen über den Griff seiner Karbidlampe, bereit, sie beim kleinsten Laut aufzudrehen.
    Es war ein unheimliches Reich, durch das er wanderte, eine lichtlose Welt voller Gefahren. Hinter jeder Gangbiegung konnte ein bodenloser Schlund gähnen oder der Tod in Gestalt von Klauen und Fangzähnen lauern. Und wer nicht auf seine Schritte achtete, verirrte sich unweigerlich in den endlosen Hallen und Korridoren, die sich viele Meilen weit erstreckten. Nicht einmal Lucien wusste, wer diese Tunnel angelegt hatte. Das Ganggeflecht dicht unter den Kanälen bestand aus alten Kellergewölben, aus vergessenen Zisternen, Fluchtgängen und Werkhallen. Doch je tiefer man hinabstieg, desto fremdartiger wurde die Bauweise, und der ursprüngliche Zweck der Stollen blieb einem verborgen.
    Als er das letzte Mal hier gewesen war, hatte er gemeinsam mit Aziel den Kerker des Harlekins besucht. Jetzt nahm er einen anderen Weg, folgte einer Rampe tief hinunter in das Felsenfundament
der Stadt, obwohl er sich einst geschworen hatte, niemals einen Fuß in diese Tunnel zu setzen.
    Zu seiner Linken befand sich Mauerwerk, so alt und verwittert, dass man es kaum von gewachsenem Fels unterscheiden konnte. Zu seiner Rechten klaffte ein Abgrund, aus dem eisige Luft heraufwehte. Seine Augen waren geschaffen für die Nacht, dennoch vermochten sie die Finsternis nicht völlig zu durchdringen. Hier und da erahnte er einen Pfeiler, einen bröckelnden Vorsprung, vielleicht die Überreste einer Brücke; dann wieder war die Schwärze so kompakt wie eine Wand.
    Irgendwann gelangte er in einen Saal voller Säulen. Knochenreste splitterten unter seinen Stiefelsohlen. Er blieb stehen und lauschte.
    Ein unverwechselbarer Gestank stieg ihm in die Nase. Rasch machte er sich an der Lampe zu schaffen. Im gleichen Moment hörte er Stimmen.
    Fleisch …
    Warmes Blut …
    Sein Herz , wisperten sie. Hört es schlagen, hört es pochen.
    Licht glomm in der Lampe auf, wurde heller und heller, schälte verwesende Leiber, zerlumpte Kleidung, eingefallene Gesichter aus der Dunkelheit. Die Ghule kamen hinter Pfeilern und Schutthaufen hervor, kletterten aus Schächten, krochen aus Felsspalten heraus, mindestens ein Dutzend. Sie fauchten und krächzten, als der Lampenschein sie blendete, wichen zurück und umringten Lucien im Abstand von einigen Schritten.
    Wagt es, die Dunkelheit zu stören!
    Verschwinden soll er!
    Ja, verschwinden!
    Langsam drehte sich Lucien im Kreis und hob die Lampe, sowie es einer der Ghule wagte, sich ihm zu nähern. Seine Rechte lag auf dem Knauf seines Wurfmessers. Er kniff die
Augen zusammen. Auch ihm machte das helle Licht zu schaffen.
    »Ihr wisst, wer ich bin«, sagte er. »Im Palast der Lady habe ich einige von euch getötet. Bleibt mir vom Leib, und euch wird nichts geschehen.«
    Was will er?
    »Bringt mich zu eurem Herrn.«
    Er konnte den Hass der Ghule spüren, aber auch ihren Respekt. Ihr Flüstern klang wie das Rascheln von totem Laub, ihr Krächzen wie das Knarren rostiger Türangeln. Schließlich setzte sich der Größte von ihnen schlurfend in Bewegung, woraufhin ihm die Horde widerstrebend folgte. Die Untoten nahmen Lucien in die Mitte.
    Er wusste, dass lediglich das Licht sie daran hinderte, über ihn herzufallen. Sollte seine Lampe aus irgendeinem Grund aufhören zu funktionieren, wäre es um ihn geschehen. Er blieb wachsam und ließ sich sein Unbehagen nicht anmerken. Ghule waren wie Raubtiere – nichts stachelte ihre Gier nach lebendigem Fleisch so sehr an wie Furcht.
    Der Weg der Horde führte durch enge Tunnel und halb eingestürzte Kammern. Immer wieder mussten sie Schutthaufen emporklettern und über schrundige Löcher im Boden springen. Schließlich öffnete sich der Gang in eine weite Halle, in einen von Menschenhand geschaffenen Felsendom, den Luciens Lampe nicht auszuleuchten vermochte.
    Es handelte sich um ein Beinhaus, um das größte, das er je gesehen hatte. Nischen waren in das Mauerwerk eingefügt worden, Dutzende, Hunderte, bis hinauf zur Decke, und jede enthielt menschliche Knochen. Gesplitterte Rippen, vergilbte Wadenbeine, grinsende Schädel. Bei jedem Schritt wirbelte feiner Knochenstaub auf.
    Die Ghule führten Lucien zu einem breiten Alkoven, wo sich weitere Untote aufhielten. Sie zischten und entblößten
dabei ihre Fangzähne, als das Lampenlicht in ihren Augen brannte.
    Ein groteskes Bild bot sich Lucien: Die Ghule hatten Sarkophage zu Tischen umfunktioniert, kauerten auf Steinen und Urnen und nagten an Knochen.

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