Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
getan.«
»Ich dachte, er hat Angst vor mir.«
»Ja, aber er ist im Moment sehr schwach. Er wird Monate, vielleicht Jahre brauchen, um sich von seiner Niederlage zu erholen. So lange bist du sicher, auch in den Träumen.«
Jackon war nicht beruhigt. »Vor ein paar Tagen habt Ihr gesagt, Aziel wird irgendwann wieder versuchen, mich zu töten.«
»Gewiss wird er das«, bestätigte Lady Sarka. »Deswegen solltest du dich schleunigst darauf vorbereiten.«
»Aber wie?«
»Aziel weiß nun, dass du in der Wachwelt zu gut geschützt bist. Deshalb wird er dich das nächste Mal in den Träumen angreifen. Damit du ihm gewachsen bist, musst du so bald wie möglich deine Ausbildung fortsetzen und deine Fähigkeiten vergrößern.«
»Ich soll gegen ihn kämpfen? Gegen den Herrn der Träume? «
»Ich fürchte, ja. Er wird nicht zulassen, dass ein Traumwanderer am Leben bleibt.«
»Und wenn ich wieder das Mittel nehme? So lange, bis er mich vergisst?«
»Dann bist du spätestens in zwei Monaten tot oder wahnsinnig. Kein Mensch kann auf Dauer ohne Träume leben.«
Ihr schon , hätte er beinahe erwidert, besann sich jedoch eines Besseren. Er hatte sie schon einmal auf den Umstand angesprochen, dass sie nicht schlief. Wenn er wieder damit anfing, verärgerte er sie wahrscheinlich nur.
»Du hast keine Wahl, Jackon«, sagte Lady Sarka sanft. »Je eher du dich damit abfindest, desto besser. So, genug geplaudert. Wellcott bringt dich gleich zu deinem Zimmer zurück, damit du dich ausruhen kannst. Für deine Ausbildung musst du bei Kräften sein.«
Damit ging sie und ließ ihn mit seiner Niedergeschlagenheit allein.
10
Die letzte Malumo
J ackon saß auf dem Bett, die Krücken über die Knie gelegt, und sah dabei zu, wie die stummen Zwillinge den Inhalt seines Kleiderschranks in eine Kiste packten.
Seine Tage als Hilfsgärtner waren gezählt. Lady Sarka wollte, dass er seine Fähigkeiten nun voll und ganz in ihre Dienste stellte, sowie er genesen war. Er gehöre jetzt zu ihrer Leibwache, hatte Umbra ihm erklärt, genau wie sie, Corvas und Amander. Folglich musste er nicht mehr im Gesindeflügel wohnen, sondern bekam ein neues Zimmer im Südflügel. Wellcott und Kendrick räumten nun seine alte Kammer aus, denn Jackon selbst war noch zu schwach dafür.
Es war ein seltsames Gefühl gewesen, die kleine Stube zu betreten. Die Morgensonne schien durch das offene Fenster herein, und es roch nach den blühenden Rosenhecken im Garten. Als er das letzte Mal hier gewesen war, hatte ein heftiger Sturm über Bradost getobt. Lucien war aus dem Nichts aufgetaucht und hatte ihn vor Aziel gewarnt, und wenig später war er mit dem Alb, Liam und Vivana durch den Palast geflohen, gejagt von der Ghulhorde. Er konnte sich haargenau an jede Einzelheit erinnern, viel klarer als an die Tage danach, denn die Ereignisse jener Nacht hatten sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Das machte es nicht gerade leicht, hier zu sitzen, aber das nahm Jackon in Kauf. Denn er war aus einem bestimmten Grund hergekommen.
Als Wellcott und Kendrick die Kiste wegtrugen, stand er mithilfe der Gehstöcke auf. Er wartete, bis die Schritte der Zwillinge verklangen, trat auf den Korridor und öffnete die Tür der benachbarten Kammer.
Sein Blick glitt über das Bett, den Tisch, den Schrank. Alles sah noch genauso aus wie vor einer Woche – und doch ganz anders. Das Fenster, durch das die Ghule eingedrungen waren, hatte man repariert, die Glasscherben beseitigt. Die Möbel standen immer noch dort, wo Liam sie hingerückt hatte, um die Einrichtung seinen Bedürfnissen anzupassen, aber seine Kleider und seine Sachen waren verschwunden. Das Zimmer wirkte verlassen und auf eine unpersönliche Art aufgeräumt und sauber. Als hätte nie jemand darin gewohnt.
Dennoch wurde Jackon von Erinnerungen überwältigt, während er mit den Fingerspitzen über die Möbel strich. Hier hatten sie manchmal nach der Arbeit gesessen, wenn ihnen Jocelyn und die anderen Bediensteten im Gemeinschaftsraum auf die Nerven gegangen waren. Hatten Karten gespielt oder geredet, über Ibbott Hume gelästert und sich dabei eine Flasche Ale geteilt. Liam und er waren nicht lange Freunde gewesen, nur ein paar Wochen. Trotzdem erschien es Jackon in diesem Augenblick, als hätten sie unendlich viel miteinander erlebt.
Er konnte noch immer nicht richtig glauben, dass Liam tot war, für immer aus seinem Leben verschwunden. Erst mit Liam an seiner Seite hatte er sich im Palast heimisch gefühlt; vorher
Weitere Kostenlose Bücher