Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
Vom Netzwerk:
eine weitere Stimme ausmachen: die eines Mannes. Vermutlich spricht sie mit dem Grenzposten.
    Das Warten ist eine Qual. Wahrscheinlich lassen sie ihren Ausweis durchs SÜS laufen. Die Sekunden verstreichen und dehnen sich zu Minuten. Die Frau schweigt. Vielleicht ist das SÜS überlastet. Obwohl es kalt im Wagen ist, bin ich nass geschwitzt. Manchmal dauert es eine Weile, versuche ich mich zu beruhigen.
    Dann ertönt erneut die zweite Stimme und bellt einen Befehl. Der Motor verstummt und die unvermittelte Stille ist extrem. Die Fahrertür geht auf und schlägt wieder zu. Der Lieferwagen schwankt ein wenig.
    Warum steigt sie aus? Mein Verstand rast: Wenn sie zur Widerstandsbewegung gehört, könnte sie geschnappt, erkannt worden sein. Gleich werden sie mich finden. Oder – und ich weiß nicht, was schlimmer ist – sie finden mich nicht. Ich sitze hier fest; ich werde verhungern oder ersticken. Plötzlich fällt mir das Atmen schwer. Die Luft ist dick und drückend. Schweißperlen rinnen mir vom Kopf in den Nacken.
    Dann schlägt die Fahrertür erneut, der Motor wird gestartet und der Lieferwagen fährt weiter. Ich atme aus, es ist fast ein Schluchzen. Ich kann geradezu spüren, wie wir in den Holland Tunnel einfahren: die lange dunkle Röhre um den Lieferwagen, gedämpft und hallend. Ich stelle mir den grauen Fluss über uns vor. Ich muss an Julians Augen denken, wie sich ihre Farbe verändert wie Wasser, das verschiedene Arten von Licht reflektiert.
    Der Lieferwagen fährt durch ein Schlagloch und mein Magen macht einen Satz, als ich hochfliege und wieder auf dem Boden lande. Dann geht es bergauf und ich kann vereinzelte Verkehrsgeräusche hören – das entfernte Heulen einer Sirene, eine Hupe ganz in der Nähe. Wir müssen in New York sein. Ich rechne damit, dass der Lieferwagen jeden Moment stehen bleibt – jedes Mal, wenn wir langsamer werden, rechne ich fast damit, dass gleich die Türen aufgehen und die Frau mit der Maske mich in die Särge wirft, obwohl sie mir gesagt hat, sie stehe auf meiner Seite – aber es vergehen bestimmt weitere zwanzig Minuten. Ich habe aufgehört mitzuverfolgen, wie wir fahren. Stattdessen rolle ich mich auf dem dreckigen Boden zusammen, der unter meiner Wange vibriert. Mir ist immer noch übel. Es riecht nach Körperausdünstungen und altem Essen.
    Schließlich verlangsamt der Lieferwagen seine Fahrt und bleibt ganz stehen. Ich setze mich mit klopfendem Herzen auf. Da höre ich einen kurzen Wortwechsel – die Frau sagt etwas, das ich nicht verstehen kann, und jemand anders erwidert: »Die Luft ist rein.« Dann ertönt ein lautes Quietschen wie von einer alten Tür, die an ihren Scharnieren aufschwingt. Der Lieferwagen fährt ein paar Meter vorwärts und hält dann wieder an. Der Motor verstummt. Ich höre, wie die Fahrerin aussteigt, und spanne mich an, umklammere den Rucksack fest mit einer Hand, bereit zu kämpfen oder wegzurennen.
    Die Hecktüren schwingen auf, und als ich vorsichtig hinausklettere, ballt sich die Enttäuschung in meiner Kehle. Ich hatte auf ein paar Hinweise gehofft, eine Antwort darauf, wo ich hingebracht worden bin und von wem. Stattdessen stehe ich in einem nichtssagenden Raum aus Beton und mit offenen Stahlträgern. In einer Wand befindet sich eine riesige Doppeltür, durch sie müssen wir hereingefahren sein; in einer anderen Wand ist noch eine Tür aus Metall, die in demselben trüben Grau gestrichen ist wie alles andere. Wenigstens gibt es elektrisches Licht. Das bedeutet, dass wir in einer genehmigten Stadt sind oder zumindest in der Nähe.
    Die Fahrerin hat die Gasmaske abgesetzt, trägt aber immer noch einen engen Nylonschlauch über dem Kopf, in den Löcher für Mund, Nase und Augen geschnitten wurden.
    »Wo sind wir hier?«, frage ich, als ich mich aufrichte und mir den Rucksack über eine Schulter hänge. »Wer bist du?«
    Sie antwortet nicht, betrachtet mich nur aufmerksam. Ihre Augen sind grau, wie ein stürmischer Himmel. Plötzlich streckt sie die Hand aus, als wollte sie mein Gesicht berühren. Ich zucke zurück und stoße gegen den Lieferwagen. Sie tritt ebenfalls einen Schritt nach hinten und ballt die Faust.
    »Warte hier«, sagt sie. Sie dreht sich um und will durch die Doppeltür gehen, durch die wir hereingekommen sind, aber ich packe sie am Handgelenk.
    »Ich will wissen, was das zu bedeuten hat«, sage ich. Ich habe die nackten Wände, die geschlossenen Räume, die Masken und die Spielchen satt. Ich will Antworten. »Ich will

Weitere Kostenlose Bücher