Pandemonium
der Stadt gehört, mit einer Menge Sympathisanten auf der anderen Seite und …«
Mein Verstand ist plötzlich ganz leer. »Wir gehen weg?«, frage ich benommen, und Raven und Tack wechseln erneut einen Blick. »Wir können doch jetzt nicht hier weg.«
»Wir haben keine andere Wahl«, sagt Raven und ich spüre Wut in mir aufsteigen. Sie spricht mit ihrer Singsangstimme wie zu einem Baby.
»Nein.« Ich schüttele den Kopf und balle die Fäuste. »Nein. Kapiert ihr das denn nicht? Ich glaube, die Schmarotzer arbeiten mit der VDFA zusammen. Ich bin gemeinsam mit Julian Fineman entführt worden. Wir waren tagelang in einem unterirdischen Versteck eingesperrt.«
»Das wissen wir«, sagt Tack, aber ich presche weiter vor, lasse mich von der Wut treiben, die sich immer höher auftürmt.
»Wir mussten uns freikämpfen. Sie haben mich fast … sie haben mich fast umgebracht. Julian hat mich gerettet.« Der Fels in meinem Magen wandert hinauf in meinen Hals. »Und jetzt haben sie Julian mitgenommen, und wer weiß, was sie mit ihm machen werden. Wahrscheinlich zerren sie ihn direkt zu den Labors oder vielleicht werfen sie ihn ins Gefängnis und …«
»Lena.« Raven legt mir die Hände auf die Schultern. »Beruhige dich.«
Aber das geht nicht. Ich zittere vor Panik und Wut. Tack und Raven müssen das doch verstehen; sie müssen einfach. »Wir müssen etwas unternehmen. Wir müssen ihm helfen. Wir müssen …«
»Lena.« Ravens Stimme wird schärfer und sie schüttelt mich. »Wir wissen das von den Schmarotzern, okay? Wir wissen, dass sie mit der VDFA zusammenarbeiten. Wir wissen alles über Julian und alles, was unter der Erde passiert ist. Wir haben an allen Ausgängen der Tunnel nach dir Ausschau gehalten. Wir haben schon seit Tagen gehofft, dass du irgendwo auftauchen würdest.«
Das bringt mich schließlich zum Schweigen. Raven und Tack lächeln jetzt nicht mehr. Stattdessen betrachten sie mich beide mitleidig.
»Was soll das heißen?« Ich entwinde mich aus Ravens Berührung und gerate ins Stolpern; als Tack einen Stuhl unter dem Tisch vorzieht, lasse ich mich darauf fallen. Keiner von beiden antwortet sofort, deshalb sage ich: »Das verstehe ich immer noch nicht.«
Tack setzt sich mir gegenüber. Er untersucht seine Hände, dann sagt er langsam: »Die Widerstandsbewegung weiß schon seit einiger Zeit, dass die Schmarotzer von der VDFA bezahlt werden. Sie wurden angeheuert, um diese Aktion abzuziehen, die du bei der Demo gesehen hast.«
»Das ergibt doch keinen Sinn.« Ich habe das Gefühl, dass mein Gehirn von einer dicken Schicht Kleister eingehüllt ist; meine Gedanken können sich nicht formen. Ich erinnere mich an die Schreie, die Schüsse, die funkelnden Klingen der Schmarotzer.
»Es ergibt sehr wohl einen Sinn«, mischt Raven sich ein. Sie steht immer noch und hat die Arme um ihren Oberkörper geschlungen. »Niemand in Zombieland kennt den Unterschied zwischen den Schmarotzern und uns. In ihren Augen sind wir alle gleich. Wenn die Schmarotzer sich benehmen wie die Tiere, kann also die VDFA dem ganzen Land zeigen, wie schrecklich es ohne das Heilmittel ist und wie wichtig, dass alle sofort gegen die Deliria geschützt werden. Sonst wird die Welt zur Hölle. Die Schmarotzer sind der Beweis.«
»Aber …« Ich muss daran denken, wie die Schmarotzer in der Menge gewütet haben; an die schmerzverzerrten Gesichter. »Aber es sind Menschen gestorben.«
»Zweihundert«, sagt Tack leise. Er sieht mich immer noch nicht an. »Zwei Dutzend Polizisten. Der Rest waren einfache Bürger. Die getöteten Schmarotzer wurden nicht gezählt.« Er zuckt mit den Schultern, ein kurzes Beben. »Manchmal ist es nötig, dass Einzelne zum Wohl des Ganzen geopfert werden.« Das entstammt direkt einer Broschüre der VDFA.
»Okay«, sage ich. Mir zittern die Hände und ich umklammere die Seiten meines Stuhls. Es fällt mir immer noch schwer, klar zu denken. »Okay. Also, was unternehmen wir jetzt?«
Ravens Blick huscht zu Tack hinüber, aber er hält den Kopf weiterhin gesenkt. »Wir haben bereits etwas unternommen, Lena«, sagt sie, noch immer mit dieser Babystimme, und ich verspüre erneut ein seltsames Kribbeln in der Brust. Sie verschweigen mir etwas – etwas Schlimmes.
»Ich verstehe nicht.« Etwas anderes fällt mir kaum ein. Meine Stimme klingt hohl.
Ein paar Sekunden lang herrscht tiefes Schweigen. Dann seufzt Tack und sagt über die Schulter zu Raven: »Ich hab dir gleich gesagt, wir hätten sie von Anfang an
Weitere Kostenlose Bücher