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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Märzschnee, hartes, grelles Licht, Bäume, mit Eis überzogen. Ich hülle mich fester in meine Jacke und trete durch das Eisentor hinaus auf die Eigth Avenue.
    Das ist das Mädchen, das ich jetzt bin. Meine Zukunft ist hier, in dieser Stadt voller Eiszapfen, die wie Dolche kurz vor dem Fall baumeln.
    In den Partnerstädten gibt es mehr Verkehr, als ich je in meinem Leben gesehen habe. In Portland hat kaum jemand ein funktionierendes Auto; in New York sind die Leute reicher und können sich Benzin leisten. In der Anfangszeit in Brooklyn ging ich immer zum Times Square, nur um ihnen zuzusehen, manchmal kam ein Dutzend Autos auf einmal, eins hinter dem anderen.
    Als ich mich nun auf den Weg nach Manhattan mache, sind die Straßen allerdings fast leer. Mein Bus bleibt auf der 31. Straße hinter einem Müllauto hängen, das rückwärts in eine dreckgeschwärzte Schneewehe gefahren ist, und als ich zum Javits Center komme, hat die Versammlung der VDFA bereits begonnen. Die Treppe ist leer, genau wie die riesige Eingangshalle, und ich kann entfernt ein dröhnendes Mikrofon hören und Applaus, der wie Gebrüll klingt. Ich gehe schnell zur Sicherheitskontrolle und setze meine Tasche ab, dann stelle ich mich mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf, während ein Mann mir gleichgültig mit dem Metalldetektor über die Brüste und zwischen die Beine fährt. Ich bin schon lange darüber hinweg, mich von dieser Prozedur peinlich berührt zu fühlen. Dann geht es weiter zu dem Klapptisch, der direkt vor zwei riesigen Doppeltüren steht; dahinter brandet erneut Applaus auf und es folgt wieder die Mikrofonstimme, donnernd, leidenschaftlich. Die Worte sind unverständlich.
    »Personalausweis, bitte«, sagt die Frau hinter dem Tisch, eine Freiwillige, mit monotoner Stimme. Ich warte, bis sie meinen Ausweis gescannt hat. Dann winkt sie mich mit einer Handbewegung durch.
    Der Konferenzsaal ist riesig. Hier passen mindestens zweitausend Leute rein und er ist wie immer fast voll. Ganz links in der Nähe der Bühne gibt es noch ein paar freie Plätze und ich gehe außen an den Sitzreihen vorbei und versuche mich so unauffällig wie möglich auf einen Platz zu setzen. Ich muss mir keine Sorgen machen. Alle im Saal sind von dem Mann auf dem Podium gefesselt. Die Luft ist wie geladen, als würden Tausende und Abertausende Tröpfchen dort hängen, bereit herunterzufallen.
    »… genügt nicht, um unsere Sicherheit zu garantieren«, sagt der Mann gerade. Seine Stimme dröhnt durch den Konferenzsaal. Unter den Neonlichtern ist sein Haar glänzend schwarz wie ein Helm. Das ist Thomas Fineman, der Gründer der VDFA. »Sie sprechen von Risiken und Verletzungen, von Schäden und Nebenwirkungen. Aber welches Risiko tragen wir als Volk, als Gesellschaft, wenn wir nicht handeln? Wenn wir nicht darauf bestehen, das Ganze zu schützen, was nützt uns dann die Gesundheit eines kleinen Teils?«
    Tosender Beifall. Thomas Fineman rückt seine Manschetten zurecht und beugt sich näher ans Mikrofon. »Dies muss unser einziges, gemeinsames Ziel sein. Dies ist der Zweck unserer Demonstration. Wir fordern, dass unsere Regierung, unsere Wissenschaftler, unsere Behörden uns schützen. Wir fordern, dass sie ihrem Volk die Treue halten, dass sie Gott und seiner Ordnung die Treue halten. Hat Gott selbst auf seinem schöpferischen Weg über Tausende von Jahren hinweg nicht Millionen von Arten verworfen, die irgendwie fehlerhaft oder defekt waren? Lernen wir nicht daraus, dass es manchmal nötig ist, die Schwachen und Kranken auszusortieren, damit sich eine bessere Gesellschaft herausbilden kann?«
    Applaus brandet auf, schwillt an. Ich klatsche ebenfalls. Lena Morgan Jones klatscht.
    Das ist meine Mission, die Aufgabe, die Raven mir gegeben hat: Die VDFA im Auge behalten. Beobachten. Mich unter die Leute mischen.
    Mehr haben sie mir nicht gesagt.
    »Zu guter Letzt fordern wir, dass die Regierung zu ihrem Versprechen im Buch Psst steht: die Sicherheit, den Schutz, das Glück und die Gesundheit unserer Städte und der Bevölkerung zu gewährleisten.«
    Ich beobachte.
    Reihen aus Deckenlampen.
    Reihen aus Gesichtern, bleich wie der Mond, aufgedunsen, ängstlich und dankbar – die Gesichter der Geheilten.
    Grauer Teppich, von unzähligen Schritten abgeschabt.
    Ein dicker, schnaufender Mann rechts von mir, der die Hose mit einem Gürtel hoch über seiner Wampe festgeschnallt hat.
    Ein kleiner Bereich neben der Bühne, der von einem Seil abgetrennt wird, drei Stühle,

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