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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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irgendwie wieder hochkommen.
    Eine der Absperrungen der Polizei ist bereits durchbrochen worden und vor mir liegt ein Stück zersplittertes Holz. Ich greife danach und ramme es voller Panik in die mich zermalmende Masse aus Menschen hinter mir, spüre, wie das Holz gegen Beine stößt, gegen Muskeln und Haut. Einen kurzen Moment lang weicht das Gewicht ein wenig. Ich springe auf und renne auf das Podium zu.
    Julian ist weg. Ich soll doch Julian beobachten. Egal, was passiert.
    Durchdringende Schreie. Der Geruch nach Feuer.
    Dann sehe ich ihn links von mir. Er wird auf einen der alten U-Bahn-Eingänge zugeschoben, der wie alle anderen Eingänge mit Sperrholz verrammelt ist. Aber als Julian und seine Leibwächter sich nähern, tritt einer von ihnen vor und drückt das Sperrholz nach innen.
    Keine Barriere. Eine Tür.
    Dann sind sie weg und das hölzerne Türblatt schließt sich wieder.
    Weitere Schüsse. Das Geschrei wird deutlich lauter. Ein Schmarotzer ist, gerade als er sich an den Abstieg machen wollte, getroffen worden. Er wird vom Balkon gerissen und stürzt in die Menge darunter. Die Menschen sind eine Welle: Köpfe, Arme, verzerrte Gesichter.
    Ich renne zu dem U-Bahn-Eingang, in dem Julian verschwunden ist. Darüber kann ich eine alte Reihe aus Buchstaben und Nummern erkennen, von denen gerade noch die Umrisse zu sehen sind: N, R, Q, 1, 2, 3, 7. Und mitten in all der Panik und dem Geschrei hat das etwas Tröstliches an sich: ein Code aus der alten Welt, ein Zeichen aus einem anderen Leben. Ich frage mich, ob die alte Welt – die Zeit der blendenden Lichter und der surrenden Elektrizität und der Menschen, die sich offen liebten – schlimmer gewesen sein kann als das hier. Ich frage mich, ob die Menschen damals auch geschrien und einander zu Tode getrampelt und Waffen auf ihren Nächsten gerichtet haben.
    Dann verschlägt es mir schon wieder den Atem und ich werde nach hinten geschleudert. Ich lande auf dem linken Ellbogen und höre es knacken. Schmerz schießt durch meinen Körper.
    Ein Schmarotzer beugt sich über mich. Unmöglich zu erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Die Gestalt ist ganz in Schwarz gekleidet und trägt eine Skimaske, die weit runtergezogen ist und auch den Hals bedeckt.
    »Her mit der Tasche«, knurrt der Schmarotzer. Aber die Stimme täuscht mich nicht. Es ist ein Mädchen. Sie versucht ihre Stimme tiefer klingen zu lassen, aber man kann die weibliche Tonlage darunter hören.
    Aus irgendeinem Grund macht mich das nur noch wütender. Wie kannst du es wagen?, würde ich ihr am liebsten ins Gesicht schleudern. Ihr habt alles versaut. Aber ich setze mich auf und ziehe langsam den Rucksack von der Schulter, wobei kleine Schmerzexplosionen von meinem Ellbogen bis zu meiner Schulter ausstrahlen.
    »Los, mach schon. Beeil dich.« Sie tritt von einem Fuß auf den anderen und fingert dabei an dem langen, scharfen Messer herum, das in ihrem Gürtel steckt.
    In Gedanken wiege ich alle Gegenstände, die ich in der Tasche habe: eine leere Wasserflasche aus Blech. Tacks Schirm. Zwei Müsliriegel. Ein Schlüsselbund. Eine gebundene Ausgabe des Buchs Psst . Tack hat darauf bestanden, dass ich es mitnehme, und jetzt bin ich froh darüber. Es hat fast sechshundert Seiten.
    Das müsste schwer genug sein. Ich umklammere die Schulterriemen fest mit der rechten Hand.
    »Ich hab gesagt, mach schnell.«
    Die ungeduldige Schmarotzerin beugt sich vor, um nach dem Rucksack zu greifen, und in diesem Moment schleudere ich ihn mit voller Wucht nach oben, durch den Schmerz hindurch. Der Rucksack trifft das Mädchen mit so viel Schwung seitlich am Kopf, dass sie das Gleichgewicht verliert – sie stürzt zur Seite und landet hart auf dem Boden. Ich springe auf. Sie greift nach meinem Knöchel und ich trete ihr zweimal kräftig in die Rippen.
    In einem haben die Priester und die Wissenschaftler Recht: Im Grunde unseres Herzens sind wir nicht besser als Tiere.
    Die Schmarotzerin stöhnt und krümmt sich, während ich über sie hinwegspringe und um die Polizeiabsperrungen herumlaufe, die zerschmettert und durcheinander daliegen. Das Geschrei schwillt immer noch an. Es ist zu einem enormen Geheul geworden wie eine riesige verstärkte Sirene.
    Ich erreiche den alten U-Bahn-Eingang. Nur einen Augenblick zögere ich, die Hand an dem Holzbrett. Seine Oberfläche ist tröstlich – von der Sonne gewärmt –, ein wenig Normalität mitten in all diesem Wahnsinn.
    Ein weiterer Schuss: Ich höre, wie hinter mir ein

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