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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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uns durch den Nebel bewegen. Wenigstens schicken sie keine Bodentruppen. Wir müssen uns noch glücklich schätzen.
    Schließlich ist es zu dunkel, um die Angriffe fortzusetzen. Der Nachthimmel ist rauchverhangen. Im Wald ist entferntes Krachen und Knacken zu hören, weil so viele Bäume in Flammen aufgegangen sind, aber immerhin sind wir so weit flussabwärts, dass wir vor dem Feuer in Sicherheit sind. Schließlich hält Raven es für unbedenklich, anzuhalten, uns auszuruhen und eine Bestandsaufnahme unserer Vorräte zu machen.
    Wir haben nur ein Viertel der Lebensmittel dabei, die wir angesammelt hatten, und nichts von den Medikamenten.
    Bram ist der Meinung, wir sollten zurückgehen, um das Essen zu holen. »Mit dem hier schaffen wir es nie«, sagt er und ich kann sehen, wie Raven zittert, als sie versucht Feuer zu machen. Es gelingt ihr kaum, das Streichholz zu entzünden. Ihre Hände müssen eiskalt sein. Meine sind schon seit Stunden taub.
    »Kapierst du es nicht?«, sagt sie. »Der Stützpunkt ist hinüber. Wir können nicht zurück. Sie wollten uns heute auslöschen, uns alle. Wir sind gerade so mit dem Leben davongekommen.«
    »Was ist mit Tack und Hunter?«, entgegnet Bram stur. »Was sollen sie machen, wenn sie zurückkommen, um uns zu holen?«
    »Verdammt, Bram.« Ravens Stimme wird lauter, fast hysterisch, und Blue, die irgendwann unter den Decken zusammengerollt eingeschlafen ist, wälzt sich unruhig herum. Raven richtet sich auf. Es ist ihr endlich gelungen, das Feuer in Gang zu bringen. Sie tritt einen Schritt zurück und starrt in die ersten züngelnden Flammen.
    »Sie müssen sich eben um sich selbst kümmern«, sagt sie mit ruhigerer Stimme, und obwohl sie ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden hat, kann ich den Schmerz unter ihren Worten hören, ein Band aus Angst und Kummer. »Wir müssen ohne sie weiter.«
    »Das ist Scheiße«, sagt Bram, allerdings nur halbherzig. Er weiß, dass sie Recht hat.
    Raven steht lange Zeit einfach nur da, während einige der anderen am Flussufer zugange sind und mühevoll ein Lager aufschlagen: Sie türmen die Rucksäcke als Schutz gegen den Wind auf, packen das Essen aus und um, teilen neue Rationen ein. Ich gehe zu Raven und stehe eine Weile neben ihr. Ich würde gerne den Arm um sie legen, aber ich kann nicht. So was macht man bei Raven nicht. Und auf merkwürdige Weise begreife ich, dass sie ihre Härte jetzt nötiger hat denn je.
    Trotzdem will ich sie irgendwie trösten. Deshalb sage ich leise, damit mich sonst niemand hört: »Tack kommt schon klar. Wenn irgendjemand hier draußen selbst unter den widrigsten Bedingungen überleben kann, dann ist es Tack.«
    »Ja, ich weiß«, sagt sie. »Ich mache mir keine Sorgen. Er kommt zurecht.«
    Aber als sie mich ansieht, ist eine Leere in ihrem Blick, als hätte sie irgendwo tief in ihrem Innern eine Tür zugemacht – und ich weiß, dass sie selbst nicht an ihre Worte glaubt.
    Der Morgen dämmert grau und kalt. Es hat wieder angefangen zu schneien. In meinem ganzen Leben war mir noch nie so kalt. Ich muss furchtbar lange mit den Füßen stampfen, bis ich sie wieder spüren kann. Wir haben alle draußen geschlafen. Raven hatte Sorge, dass die Zelte zu auffällig wären und wir ein leichtes Ziel abgäben, sollten die Hubschrauber oder Flugzeuge zurückkehren. Aber der Himmel ist leer und der Wald still. Kleine Aschefetzen mischen sich unter die Schneeflocken und tragen den schwachen Geruch nach Feuer heran.
    Wir machen uns auf den Weg zum ersten Lager, das Roach und Buck für uns vorbereitet haben: hundertdreißig Kilometer entfernt. Erst gehen wir alle schweigend und suchen immer wieder den Himmel ab, aber nach ein paar Stunden entspannen wir uns ein wenig. Es fällt immer noch Schnee, der die Landschaft sanfter wirken lässt und die Luft reinigt, bis der Rauchgeruch schließlich davon verschluckt wird.
    Dann unterhalten wir uns ungezwungener. Wie haben sie uns gefunden? Warum diese Angriffe? Warum gerade jetzt?
    Jahrelang konnten die Invaliden auf eine entscheidende Tatsache zählen: Sie existierten offiziell gar nicht. Die Regierung hat jahrzehntelang geleugnet, dass irgendjemand in der Wildnis lebt, und daher waren die Invaliden relativ sicher. Jeder groß angelegte direkte Angriff durch die Regierung wäre dem Eingeständnis eines Fehlers gleichgekommen.
    Aber das scheint sich geändert zu haben.
    Viel später werden wir herausfinden, warum: Die Widerstandsbewegung hat das Spiel verschärft. Sie hatten das

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