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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Tablett durch die Klappe zu schieben, was ich getan habe.
    »Ich kenne keine Geschichten«, sage ich. Julian fühlt sich jetzt nicht mehr unwohl, wenn er mich ansieht – im Gegenteil. Ich kann beim Gehen seinen Blick auf mir spüren wie eine Berührung an der Schulter.
    »Dann erzähl mir etwas aus deinem Leben«, sagt er. »Es muss keine gute Geschichte sein.«
    Ich seufze und gehe das Leben durch, das ich mit Ravens Hilfe für Lena Jones gebastelt habe. »Ich bin in Queens geboren. Bis zur fünften Klasse war ich auf der Unity-Schule, dann habe ich zur Schule Unserer Lieben Frau der Lehre gewechselt. Letztes Jahr bin ich nach Brooklyn gekommen und habe mich für mein letztes Schuljahr an der Quincy-Edwards-Schule angemeldet.« Julian sieht mich immer noch an, als wartete er auf mehr. Ich mache eine schnelle, ungeduldige Handbewegung und füge hinzu: »Im November bin ich geheilt worden. Meine Evaluierung habe ich allerdings erst später im Halbjahr zusammen mit allen anderen. Ich habe noch keinen Partner zugeteilt bekommen.« Weiter fällt mir nichts ein. Lena Jones ist wie alle Geheilten ziemlich langweilig.
    »Das sind Tatsachen«, sagt Julian. »Das ist keine Geschichte.«
    »Gut.« Ich setze mich auf meine Pritsche, schlage die Beine unter und wende mich ihm zu. »Wenn du so ein Experte bist, warum erzählst du mir nicht eine?«
    Ich rechne damit, dass er nervös wird, aber er legt nur nachdenklich den Kopf zurück und atmet aus. Der Schnitt auf seiner Lippe sieht heute noch schlimmer aus, wund und geschwollen. An seinem Kiefer haben sich gelbliche und grüne Schattierungen ausgebreitet. Er hat allerdings weder darüber noch über den ausgefransten Schnitt auf seiner Wange geklagt.
    Schließlich sagt er: »Einmal, als ich noch ganz klein war, habe ich zwei Leute gesehen, die sich in der Öffentlichkeit geküsst haben.«
    »Du meinst wie bei einer Hochzeitszeremonie? Um die Eheschließung zu besiegeln?«
    Er schüttelt den Kopf. »Nein. Auf der Straße. Es waren Demonstranten, weißt du. Es war direkt vor dem Sitz der VDFA. Ich weiß nicht, ob sie ungeheilt waren oder der Eingriff nicht gewirkt hat oder was sonst. Ich war erst ungefähr sechs. Sie haben …« Im letzten Moment zögert Julian.
    »Sie haben die Zungen benutzt.« Er sieht mich nur ganz kurz an, dann wendet er den Blick ab. Zungenküsse sind heutzutage noch mehr als illegal. Sie gelten als schmutzig und abstoßend, sind ein Symptom dafür, dass die Krankheit sich eingenistet hat.
    »Und was hast du gemacht?« Ich kann nicht umhin, mich vorzubeugen. Es überrascht mich – sowohl die Geschichte selbst als auch die Tatsache, dass Julian sie mir erzählt.
    Julian lächelt. »Soll ich dir was Lustiges sagen? Ich habe erst gedacht, er würde sie essen.«
    Ich kann nicht anders: Ich muss laut auflachen. Und sobald ich angefangen habe zu lachen, kann ich nicht wieder aufhören. Die gesamte Anspannung der letzten achtundvierzig Stunden löst sich und ich muss so lachen, dass mir die Tränen kommen. Die ganze Welt hat sich verkehrt und steht auf dem Kopf. Wir leben in einem Gruselkabinett.
    Julian fängt auch an zu lachen, dann zuckt er zusammen und fasst sich an die verletzte Lippe. »Au«, sagt er und da muss ich noch mehr lachen, wovon er wieder lachen muss, woraufhin er erneut »Au« sagt. Wir schütten uns aus vor Lachen. Julian hat ein überraschend nettes Lachen, tief und melodisch.
    »Okay, du bist dran«, keucht er schließlich, als das Lachen nachlässt.
    Ich ringe nach Atem. »Moment … Moment. Was ist dann passiert?«
    Julian sieht mich immer noch lächelnd an. Er hat ein Grübchen in der rechten Wange; zwischen seinen Augenbrauen ist eine Falte aufgetaucht. »Was meinst du?«
    »Was ist mit dem Paar passiert? Den beiden Küssenden?«
    Die Falte zwischen Julians Augenbrauen vertieft sich und er schüttelt verwirrt den Kopf. »Die Polizei ist gekommen«, sagt er, als wäre das völlig naheliegend. »Sie wurden nach Rikers Island in Quarantäne gebracht. Soweit ich weiß, sind sie immer noch da.«
    Und damit ist mir das Lachen vergangen wie von einem heftigen Schlag vor die Brust. Mir fällt wieder ein, dass Julian einer von denen ist; den Zombies, den Feinden. Den Leuten, die mir Alex genommen haben.
    Plötzlich wird mir übel. Ich habe gerade mit ihm gelacht. Wir haben etwas miteinander geteilt. Er sieht mich an, als wären wir Freunde, als wären wir gleich.
    Ich könnte kotzen.
    »Also«, sagt er, »jetzt du.«
    »Ich kenne keine

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