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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Rascheln, als er seine Stellung auf der Pritsche verändert. »Weiter bin ich nicht gekommen«, sagt er. »Den Rest habe ich nie gelesen.«
    Ich bin plötzlich hellwach. »Du hast dir die Geschichte also nicht selbst ausgedacht?«
    Er zögert einen Moment. Dann: »Nein.«
    Ich gebe mir Mühe, meine Stimme ruhig und unbewegt zu halten. »Diese Geschichte habe ich nie gehört«, sage ich. »Ich kann mich aus keinem meiner Lesebücher daran erinnern. Ich glaube, ich würde sie kennen, wenn sie im Lehrplan stünde.« Nur sehr wenige Geschichten werden zur Nutzung und Verbreitung zugelassen; höchstens zwei oder drei pro Jahr, wenn überhaupt. Wenn ich sie noch nicht gehört habe, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass sie nie zugelassen wurde.
    Julian hustet. »Da steht sie nicht. Im Lehrplan, meine ich.« Er hält kurz inne. »Sie ist verboten.«
    Ich spüre ein Prickeln auf der Haut. »Wo hast du eine verbotene Geschichte her?«
    »Mein Vater kennt eine Menge wichtiger Leute in der VDFA. Leute von der Regierung, Priester und Wissenschaftler. Daher hat er Zugang zu Sachen … vertraulichen Dokumenten und Sachen aus der Zeit davor. Aus den Tagen der Krankheit.«
    Ich erwidere nichts. Ich kann hören, wie er schluckt, bevor er fortfährt.
    »Als ich klein war, hatte mein Vater dieses Arbeitszimmer – er hatte in Wirklichkeit sogar zwei Arbeitszimmer. Ein normales, wo er die meiste Arbeit für die VDFA erledigte. Da saßen mein Bruder und ich mit ihm und halfen die ganze Nacht Flugblätter zu falten. Es ist komisch. Bis heute riecht Mitternacht für mich nach Papier.«
    Ich bin erstaunt, als Julian einen Bruder erwähnt; ich habe nie von einem gehört, nie sein Bild auf Broschüren der VDFA gesehen oder im Wort , der offiziellen Zeitung. Aber ich will Julian nicht unterbrechen.
    »Sein anderes Arbeitszimmer war immer abgeschlossen. Niemand durfte hinein und mein Vater hatte den Schlüssel versteckt. Allerdings …« Weiteres Rascheln. »Allerdings habe ich eines Tages beobachtet, wo er ihn hingelegt hat. Es war schon spät. Ich sollte eigentlich im Bett sein. Ich kam aus meinem Zimmer, weil ich mir ein Glas Wasser holen wollte, und sah ihn vom Treppenabsatz aus. Er ging zu einem Bücherregal in der Diele. Auf dem obersten Regalbrett stand die kleine Porzellanfigur eines Hahns. Ich sah, wie er den Kopf vom Hals nahm und den Schlüssel hineinlegte.
    Am nächsten Tag tat ich so, als wäre ich krank, damit ich nicht in die Schule musste. Und nachdem meine Mutter und mein Vater zur Arbeit gegangen waren und mein Bruder zum Bus, schlich ich mich nach unten, holte den Schlüssel und schloss das zweite Arbeitszimmer meines Vaters auf.« Er lacht kurz auf. »Ich glaube, ich hatte noch nie in meinem Leben solche Angst. Meine Hände zitterten so sehr, dass mir der Schlüssel dreimal runterfiel, bevor ich ihn überhaupt ins Schlüsselloch stecken konnte. Ich hatte keine Ahnung, was ich in dem Raum finden würde. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe – Leichen vielleicht oder eingesperrte Invaliden.«
    Ich versteife mich, wie immer, wenn ich das Wort höre. Dann entspanne ich mich, lasse es an mir abperlen.
    Er lacht erneut. »Ich war ziemlich sauer, als ich schließlich die Tür aufbekam und all diese Bücher sah. Was für eine Enttäuschung. Aber dann erkannte ich, dass es keine normalen Bücher waren. Sie waren überhaupt nicht wie die Bücher, die wir in der Schule lasen oder in der Kirche hatten. Da wurde mir klar, was es war – sie mussten verboten sein.«
    Ich kann nichts dagegen tun; eine lang vergrabene Erinnerung steigt jetzt in mir auf: wie ich zum ersten Mal Alex’ Wohnwagen betrat und Dutzende und Aberdutzende seltsamer Titel sah, zerfledderte Buchrücken, die im Kerzenschein leuchteten, wie ich zum ersten Mal das Wort Lyrik hörte. An den genehmigten Orten dient jede Geschichte einem Zweck. Aber verbotene Bücher sind so viel mehr. Einige von ihnen sind wie Netze; man kann sich an ihren Fäden in fremde, dunkle Ecken vortasten – aber nur gerade so. Einige von ihnen sind Ballons, die in den Himmel aufsteigen: unerreichbar, aber schön anzusehen.
    Und einige von ihnen – die besten – sind Türen.
    »Danach schlich ich mich immer, wenn ich allein zu Hause war, in dieses Arbeitszimmer. Ich wusste, dass es nicht richtig war, aber ich konnte nicht anders. Es gab dort auch Musik, eine völlig andere als die genehmigten Sachen in der BEMF. Du würdest es nicht glauben, Lena. Voller schlimmer Wörter, alle über

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