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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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ist glühend heiß. »Alles in Ordnung. Atme einfach, okay? Alles wird gut.«
    In der Tasse, die wir gestern bekommen haben, ist noch ein kleiner Rest Wasser. Julian und ich haben es uns aufgespart. Ich befeuchte Julians Hemd und tupfe sein Gesicht damit ab; dann fallen mir die Desinfektionstücher ein, die die VDFA bei der Kundgebung verteilt hat. Zum ersten Mal bin ich der VDFA dankbar für ihre Sauberkeitsobsession. Ich habe das zusammengefaltete Tuch immer noch in einer meiner hinteren Jeanstaschen; als ich es auspacke, zucke ich von dem scharfen Alkoholgeruch zusammen. Ich weiß, dass es wehtun wird. Aber wenn Julian sich eine Infektion holt, kommen wir auf keinen Fall hier raus.
    »Das brennt jetzt ein bisschen«, sage ich und drücke das Tuch auf Julians Haut.
    Augenblicklich heult er auf. Er schlägt die Augen auf – so weit das geht, zumindest – und fährt hoch. Ich muss ihn an den Schultern zurück auf den Boden drücken.
    »Tut weh«, murmelt er, aber immerhin ist er jetzt wach und bei Bewusstsein. Mein Herz macht einen Satz. Mir fällt auf, dass ich kaum geatmet habe.
    »Stell dich nicht so an«, sage ich und säubere weiter sein Gesicht, während er den ganzen Körper anspannt und die Zähne zusammenbeißt. Sobald ich den größten Teil des Blutes weggewischt habe, kann ich seinen Zustand besser beurteilen. Der Schnitt an der Lippe ist wieder aufgegangen und er muss mehrfach ins Gesicht geschlagen worden sein, wahrscheinlich mit der Faust oder einem stumpfen Gegenstand. Der Schnitt an seiner Stirn ist das größte Problem. Er blutet immer noch. Aber alles in allem könnte es deutlich schlimmer sein. Er wird überleben.
    »Hier«, sage ich und hebe die Blechtasse an seine Lippen, während ich mit meinen Knien seinen Kopf abstütze. Es ist noch ein Zentimeter Wasser übrig. »Trink.«
    Als er ausgetrunken hat, schließt er wieder die Augen. Aber sein Atem geht jetzt regelmäßig und er hat aufgehört zu zittern. Ich nehme das Hemd und reiße einen langen Streifen Stoff ab. Dabei versuche ich die Erinnerungen zu unterdrücken, die sich wieder nach vorn drängen: Das habe ich von Alex gelernt. In einem anderen Leben hat er mich mal gerettet, als ich verletzt war. Er hat mein Bein verbunden. Er hat mir geholfen, den Aufsehern zu entkommen.
    Ich falte die Erinnerung vorsichtig in mir zusammen. Ich vergrabe sie tief in mir.
    »Heb deinen Kopf ein Stück an«, sage ich. Das tut Julian, diesmal ohne zu wimmern, und ich kann den Stoff darumbinden. Ich wickele das gesamte Hemd um seine Stirn und verknote es fest in der Nähe der Wunde, so dass es eine Art Druckverband bildet. Dann bette ich seinen Kopf wieder auf meine Schenkel. »Kannst du reden?«, frage ich und Julian nickt. »Kannst du mir sagen, was passiert ist?«
    Die rechte Ecke seiner Lippe ist so geschwollen, dass seine Stimme verzerrt klingt, als müsste er die Worte an einem Kissen vorbeizwängen. »Wollten Sachen wissen«, sagt er, dann atmet er tief ein und versucht es erneut. »Haben mir Fragen gestellt.«
    »Was für Fragen?«
    »Wo wir wohnen. Charles Street. Sicherheitscodes. Wachen – wie viele, wann.«
    Ich sage nichts. Ich bin mir nicht sicher, ob Julian bewusst ist, was das bedeutet. Die Schmarotzer sind verzweifelt. Sie werden versuchen, das Haus seiner Familie anzugreifen, benutzen ihn, um eine Möglichkeit zu finden, dort einzudringen. Vielleicht haben sie vor, Thomas Fineman umzubringen; vielleicht wollen sie auch nur Schmuck und elektronische Geräte stehlen, die sie auf dem Schwarzmarkt verkaufen können, sowie Geld und natürlich Waffen. Es geht ihnen dauernd um Waffen.
    Jedenfalls kann das hier nur eins bedeuten: Ihr Plan, Lösegeld für Julian zu erpressen, ist misslungen. Mr Fineman hat nicht angebissen.
    »Hab nichts verraten«, schnauft Julian. »Sie sagen … noch ein paar Tage … noch ein paar Sitzungen … dann rede ich.«
    Es besteht kein Zweifel mehr. Wir müssen hier so schnell wie möglich raus. Sobald Julian beschließt zu reden – was er irgendwann tun wird –, sind weder er noch ich den Schmarotzern länger von Nutzen. Und sie sind nicht gerade bekannt dafür, ihre Gefangenen einfach so wieder freizulassen.
    »Okay, hör zu.« Ich versuche leise zu sprechen und hoffe, dass er die Dringlichkeit in meiner Stimme nicht wahrnimmt. »Wir hauen hier ab, klar?«
    Er schüttelt den Kopf, eine winzige ungläubige Geste. »Wie?«, krächzt er.
    »Ich habe einen Plan«, sage ich. Das stimmt zwar nicht, aber mir wird

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