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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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schon noch etwas einfallen. Mir muss etwas einfallen. Raven und Tack zählen auf mich. Als ich wieder an die Nachrichten denke, die sie mir hinterlassen haben, und das Messer, wird mir ganz warm ums Herz. Ich bin nicht allein.
    »Bewaffnet.« Julian schluckt, dann setzt er wieder an: »Sie sind bewaffnet.«
    »Wir auch.« Mein Gehirn prescht jetzt vor, in Gedanken bin ich schon auf dem Flur: Schritte kommen näher, entfernen sich, immer einer nach dem andern. Nur eine Wache zur Essenszeit. Das ist gut. Wenn wir die irgendwie dazu bringen können, die Tür zu öffnen … Ich bin so mit meinem Plan beschäftigt, dass ich gar nicht realisiere, was für Worte aus meinem Mund kommen.
    »Hör zu, ich war schon öfter in gefährlichen Situationen. Du musst mir vertrauen. Damals in Massachusetts …«
    Julian unterbricht mich. »Wann … du … Massachusetts?«
    Da wird mir klar, dass ich es verbockt habe. Lena Jones war noch nie in Massachusetts und das weiß Julian. Einen Moment überlege ich, mir eine neue Lüge auszudenken, und in dieser Pause richtet sich Julian mühsam auf den Ellbogen auf, dreht sich herum und rutscht zurück, um mich anzusehen, wobei er das Gesicht verzieht.
    »Sei vorsichtig«, sage ich. »Übertreib’s nicht.«
    »Wann warst du in Massachusetts?«, wiederholt er ganz langsam und sorgfältig, so dass jedes Wort deutlich zu hören ist.
    Vielleicht liegt es daran, wie Julian aussieht mit dem blutbefleckten Stoffstreifen um die Stirn und seinem fast zugeschwollenen Auge: wie ein verletztes Tier. Oder vielleicht liegt es daran, dass mir jetzt bewusst geworden ist, dass die Schmarotzer uns umbringen werden – wenn nicht heute, dann morgen oder übermorgen.
    Oder vielleicht bin ich auch nur hungrig und müde und habe es satt, ihm etwas vorzumachen.
    Ganz plötzlich beschließe ich, ihm die Wahrheit zu sagen. »Hör zu«, sage ich, »ich bin nicht die, für die du mich hältst.«
    Julian wird ganz still. Ich muss schon wieder an ein Tier denken – wir haben mal ein Waschbärenjunges gefunden, das gerade in einer Schlammgrube versank, die sich nach dem Tauwetter im Boden gebildet hatte. Bram ging hin, um ihm zu helfen, und als er sich ihm näherte, wurde der Waschbär genauso still – vollkommen unbeweglich, aber doch wachsam und energiegeladen.
    »Alles, was ich dir erzählt habe – dass ich in Queens aufgewachsen bin oder eine Klasse wiederholen musste … Nichts davon ist wahr.«
    Ich war einmal auf der anderen Seite, in Julians Position. Ich stand da, die Strömung zerrte an mir, während Alex mir dasselbe erzählte. Ich bin nicht der, für den du mich hältst. Ich kann mich daran erinnern, wie ich zum Ufer zurückgeschwommen bin. Es war die längste und anstrengendste Schwimmstrecke meines Lebens.
    »Du musst nicht wissen, wer ich bin, okay? Du musst nicht wissen, wo ich wirklich herkomme. Aber Lena Jones ist erfunden. Sogar das hier« – ich fasse mir mit den Fingern an den Hals, streiche über die dreizackige Narbe –, »sogar das ist erfunden.«
    Juilan sagt immer noch nichts, ist allerdings noch weiter zurückgerutscht und hat sich an der Wand halb aufgerichtet. Er hat die Knie gebeugt, Hände und Fußsohlen flach auf dem Boden, als würde er aufspringen und losrennen, wenn er könnte.
    »Ich weiß, dass du nicht viele Gründe hast, mir gerade jetzt zu vertrauen«, sage ich. »Aber ich bitte dich trotzdem darum. Wenn wir hierbleiben, werden sie uns töten. Ich kann uns hier rausbringen. Aber dafür brauche ich deine Hilfe.«
    In meinen Worten liegt eine Frage und ich schweige und warte Julians Antwort ab.
    Lange Zeit herrscht Schweigen. Schließlich krächzt er: »Du.«
    Die Gehässigkeit in seiner Stimme überrascht mich. »Was?«
    »Du«, wiederholt er. Und dann: »Du hast mir das angetan.«
    Mein Herz beginnt wieder kräftig und schmerzhaft gegen meine Rippen zu hämmern. Einen Moment denke ich – hoffe beinahe –, dass er eine Art Anfall hat, eine Halluzination oder so. »Wovon redest du da?«
    »Deine Leute«, sagt er und da bekomme ich einen schlechten Geschmack im Mund und weiß, dass er vollkommen klar im Kopf ist. Ich weiß genau, was er meint und was er denkt. »Deine Leute haben das getan.«
    »Nein«, sage ich und wiederhole es dann noch mal energischer. »Nein. Wir haben nichts mit …«
    »Du bist eine von den Invaliden. Das willst du mir doch sagen, oder? Du bist infiziert.« Julians Finger zittern leicht auf dem Boden und machen ein Geräusch wie leise

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