Pandemonium
glitzernde Spitze. Er wirft es in den Eimer, dann steht er auf und sieht dabei zu, wie der Plastikgriff sich langsam im siedenden Wasser dreht.
Mir ist übel. Ich sehe Raven an, aber sie starrt mit unergründlicher Miene ins Feuer.
»Hier.« Bram tritt vom Feuer weg und drückt mir eine Flasche Whiskey in die Hand. »Davon solltest du was trinken.«
Ich hasse Whiskey, aber trotzdem schraube ich die Flasche auf, schließe die Augen und nehme einen großen Schluck. Der Alkohol brennt in meiner Kehle und ich muss den Brechreiz unterdrücken. Aber fünf Sekunden später strahlt Wärme aus meinem Magen aus, lähmt meine Kehle und meinen Mund, überzieht meine Zunge und macht es leichter, noch einen zweiten Schluck zu trinken und dann einen dritten.
Als Bram sagt: »Wir sind so weit«, habe ich ein Viertel der Flasche gekippt. Die Sterne über mir drehen sich langsam und glänzen wie scharfe Metallspitzen. Es fühlt sich an, als wäre mein Kopf von meinem Körper getrennt. Ich lasse mich auf den Boden plumpsen.
»Langsam«, sagt Bram. Seine weißen Zähne blitzen in der Dunkelheit. »Wie fühlst du dich, Lena?«
»Okay«, sage ich. Das Wort kommt mir schleppend über die Lippen.
Bram sagt: »Raven, nimmst du bitte die Decke?« Raven stellt sich hinter mich und dann sagt mir Bram, ich solle mich auf den Rücken legen, was ich dankbar tue. Es hilft gegen das kreisende Gefühl in meinem Kopf.
»Du nimmst ihren linken Arm«, sagt Raven und kniet sich neben mich. Ihre Ohrringe – eine Feder und ein Silberanhänger, beide im rechten Ohr – schwingen wie Pendel. »Ich nehme den anderen.«
Sie packen mich fest von beiden Seiten. Da bekomme ich Angst.
»He.« Ich versuche mich aufzusetzen. »Ihr tut mir weh.«
»Es ist wichtig, dass du ganz still hältst«, sagt Raven. Dann macht sie eine kurze Pause. »Das tut jetzt ein bisschen weh, Lena. Aber es geht schnell vorbei, okay? Vertrau uns einfach.«
Die Angst entzündet ein neues Feuer in meiner Brust. Bram hält das jetzt sterilisierte Metallinstrument in der Hand und die Klinge scheint das ganze Licht des Feuers einzufangen und glüht heiß, weiß und schrecklich. Ich habe zu große Angst, um gegen die beiden anzukämpfen, und ich weiß, es würde nichts nützen. Raven und Bram sind zu stark.
»Beiß hier drauf«, sagt Bram und plötzlich wird mir ein Lederstreifen in den Mund geschoben. Er riecht nach Grandpas Tabak.
»Wartet …«, versuche ich zu sagen, aber ich bekomme das Wort nicht an dem Leder vorbei. Bram legt mir eine Hand auf die Stirn, zieht mein Kinn fest nach oben, dann beugt er sich mit der Klinge in der Hand über mich und ich kann spüren, wie ihre Spitze in die Haut hinter meinem linken Ohr drückt, und ich will aufschreien, aber es geht nicht, und ich will wegrennen, aber das geht auch nicht.
»Willkommen in der Widerstandsbewegung, Lena«, flüstert er mir zu. »Ich versuche es schnell zu machen.«
Der erste Schnitt geht tief. Alles in mir brennt. Und dann habe ich meine Stimme wieder und schreie.
jetzt
L
ena.«
Der Klang meines Namens reißt mich aus dem Schlaf. Mit pochendem Herzen setze ich mich auf.
Julian hat seine Pritsche neben die Tür gestellt, sie an die Wand geschoben, so weit von mir weg wie möglich. Ich habe Schweißtropfen auf der Oberlippe. Es ist Tage her, dass ich das letzte Mal geduscht habe, und hier im Raum hängt ein strenger Geruch wie in einem Tierkäfig.
»Heißt du überhaupt so?«, fragt Julian nach einer kurzen Pause. Seine Stimme ist immer noch kalt, hat allerdings etwas von ihrer Schärfe verloren.
»So heiße ich«, sage ich. Ich schließe die Augen, presse sie zu, bis kleine Farbexplosionen hinter meinen Lidern erscheinen. Ich hatte einen Albtraum. Ich war in der Wildnis. Raven und Alex waren auch da; und außerdem ein Tier, irgendetwas Riesiges, das wir getötet hatten.
»Du hast nach Alex gerufen«, sagt Julian und ich verspüre einen Stich im Magen. Weiteres Schweigen, dann: »Er war es, nicht wahr? Er hat dich angesteckt.«
»Was spielt das für eine Rolle?«, frage ich und lege mich wieder hin.
»Was ist aus ihm geworden?«, fragt Julian.
»Er ist gestorben«, sage ich kurz angebunden, weil es das ist, was Julian hören will. Ich stelle mir einen hohen Turm vor mit glatten Wänden, der sich bis hinauf in den Himmel erstreckt. In die Seite des Turms sind Treppenstufen gehauen, die sich immer weiter nach oben winden. Ich betrete die erste Stufe, kühl und schattig.
»Wie?«, fragt Julian. »An der
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