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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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tröpfelnder Regen. Mir wird klar, dass er wütend ist und wahrscheinlich Angst hat. »Du bist krank.« Er spuckt die Worte beinahe aus.
    »Das da draußen sind nicht meine Leute«, sage ich und muss jetzt die Wut zurückdrängen, die in mir aufsteigt und mich runterziehen will: eine schwarze Macht, die an den Rändern meines Bewusstseins zerrt. »Diese Leute sind keine …« Ich sage beinahe: Sie sind keine Menschen . »Sie sind keine Invaliden.«
    »Lügnerin«, zischt Julian. Da ist es. Genau wie der Waschbär, der sich auf Bram stürzte, als der ihn schließlich aus dem Matsch zog, und seine Zähne in Brams rechte Hand versenkte.
    Das schlechte Gefühl in meinem Hals kommt ganz unten aus meinem Magen. Ich stehe auf und hoffe, dass Julian nicht bemerkt, dass ich ebenfalls zittere. »Du weißt nicht, wovon du redest«, sage ich. »Du weißt gar nichts über uns und du weißt gar nichts über mich.«
    »Erzähl’s mir«, sagt Julian, immer noch mit diesem wütenden, kalten Unterton. Jedes Wort klingt hart und schneidend. »Wann hast du dich angesteckt?«
    Ich lache, obwohl nichts davon lustig ist. Die Welt steht kopf und alles ist Scheiße und mein Leben ist in zwei Teile gespalten und es gibt zwei verschiedene Lenas, die parallel existieren, die alte und die neue, und sie werden nie wieder eins werden. Und ich weiß, dass Julian mir jetzt nicht helfen wird. Es war idiotisch zu glauben, dass er das tun würde. Er ist ein Zombie, genau wie Raven immer gesagt hat. Und Zombies tun, wozu sie gemacht sind: Sie schleppen sich in blindem Gehorsam vorwärts, bis sie irgendwann verwest sind.
    Nun, ich bin kein Zombie. Ich angle das Messer unter der Matratze hervor und setze mich auf die Pritsche, dann ziehe ich die Klinge schnell über den metallenen Bettpfosten, um sie zu schärfen, und beobachte mit Vergnügen, wie sie das Licht reflektiert.
    »Es spielt keine Rolle«, sage ich zu Julian. »Nichts davon spielt eine Rolle.«
    »Wie ist es passiert?«, beharrt er. »Wer war es?«
    Das schwarze Etwas in mir zuckt einmal kurz, dehnt sich ein Stückchen weiter aus. »Fahr zur Hölle«, sage ich zu Julian, aber ganz ruhig jetzt; und ich halte den Blick auf das Messer gerichtet, das blitzt, blitzt, blitzt wie ein Schild, das den Weg aus der Dunkelheit weist.

damals
    W
ir bleiben vier Tage im ersten Lager. Am Abend bevor wir uns wieder auf den Weg machen wollen, nimmt Raven mich beiseite.
    »Es ist Zeit«, sagt sie.
    Ich bin immer noch wütend über das, was sie bei der Falle zu mir gesagt hat, obwohl mein Zorn von einem dumpfen, pochenden Groll ersetzt worden ist. Sie wusste alles über mich. Ich habe das Gefühl, als hätte sie in mich hineingefasst, ganz tief hinein, und etwas zerbrochen.
    »Zeit wofür?«, frage ich.
    Hinter uns brennt das Lagerfeuer langsam herunter. Blue, Sarah und einige der anderen sind davor eingeschlafen, ein Knäuel aus Decken, Haaren und Beinen. Sie schlafen in letzter Zeit oft so, wie menschliches Patchwork: Dann haben sie es warm. Lu und Grandpa unterhalten sich leise. Grandpa kaut seinen letzten Tabak, schiebt ihn aus dem Mund und wieder hinein und spuckt gelegentlich ins Feuer, was eine grüne Flamme hervorbringt. Die anderen müssen in die Zelte gekrochen sein.
    Raven lächelt mich kaum wahrnehmbar an. »Zeit für deinen Eingriff.«
    Mein Herz macht einen Satz. Die Nacht ist eiskalt, und wenn man tief einatmet, schmerzt es in der Lunge. Raven führt mich vom Lager weg, dreißig Meter den Fluss entlang bis zu einem breiten, flachen Uferstück. Hier haben wir jeden Morgen die dicke Eisschicht durchbrochen, um Wasser zu holen.
    Bram ist bereits dort. Er hat ein weiteres Feuer entzündet. Es lodert hoch und heiß und Asche und Rauch brennen mir schon in den Augen, als wir noch anderthalb Meter entfernt sind. Das Holz ist in Tipiform aufgeschichtet und an seiner Spitze schlängeln sich blaue und weiße Flammen in den Himmel hinauf. Der Rauch ist ein Radierer, der die Sterne über uns zum Verschwinden bringt.
    »Bist du so weit?«, fragt Raven.
    »Beinahe«, erwidert Bram. »Noch fünf Minuten.« Er kauert neben einem verzogenen Holzeimer, der am Rand des Feuers zwischen Holzstücken steckt. Vermutlich hat er ihn mit Wasser getränkt, damit er kein Feuer fängt. Die Nähe der Flammen wird das Wasser im Eimer zum Kochen bringen. Bram holt ein kleines dünnes Instrument aus einer Tasche zu seinen Füßen. Es sieht aus wie ein Schraubenzieher mit einem dünnen runden Griff und hat eine scharfe,

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