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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Deliria?« Ich weiß, wenn ich jetzt Ja sage, fühlt er sich gut. Siehst du , wird er dann denken. Wir haben Recht. Wir haben die ganze Zeit über Recht gehabt. Lasst Leute sterben, damit wir Recht haben können.
    »Wegen dir«, sage ich. »Das waren deine Leute.«
    Julian schnappt nach Luft. Als er wieder spricht, klingt seine Stimme sanfter. »Du hast gesagt, du hättest keine Albträume mehr.«
    Ich schotte mich innerlich ab. Vom Turm aus sind die Leute da unten nichts weiter als Ameisen, Sprenkel, Satzzeichen: leicht auszulöschen.
    »Ich bin eine Invalide«, sage ich. »Wir lügen eben.«
    Am nächsten Morgen hat sich mein Plan erhärtet, ist klarer geworden. Julian sitzt in der Ecke und betrachtet mich wie am Anfang, als man uns gerade eingesperrt hatte. Er hat immer noch den Hemdfetzen um den Kopf gebunden, aber er sieht jetzt wach aus und sein Gesicht ist abgeschwollen.
    Ich nehme den Schirm auseinander, ziehe den Nylonbezug von den faltbaren Metallstreben. Dann streiche ich den Stoff glatt und schneide ihn mit dem Messer in vier lange Streifen. Ich binde die Streifen zusammen und überprüfe mein Werk. Ganz gut. Es wird nicht ewig halten, aber ich brauche auch nicht mehr als ein paar Minuten.
    »Was machst du da?«, fragt mich Julian. Er gibt sich offenbar große Mühe, nicht zu neugierig zu wirken. Ich antworte nicht. Mir ist inzwischen egal, was er tut – ob er mit mir kommt oder hierbleibt, um in dieser Zelle zu verrotten –, Hauptsache, er mischt sich nicht ein.
    Ich brauche nicht lange, um die Scharniere an der Klappe in der Tür abzumontieren, ich muss nur ein bisschen mit der Messerspitze rütteln und hebeln. Sie sind verrostet und sowieso schon lose.
    Es gelingt mir, die Klappe nach draußen zu schieben, so dass sie mit einem Knall in den Flur fällt. Das wird jemanden anlocken, und zwar bald. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Es kann losgehen, wie Tack immer gesagt hat, bevor er auf die Jagd zog. Ich nehme Das Buch Psst auf den Schoß und reiße eine Seite heraus.
    »Da passt du nie durch«, sagt Julian. »Es ist zu klein.«
    »Sei einfach still«, sage ich. »Kannst du wenigstens das für mich tun? Sag einfach nichts.«
    Ich schraube die Wimperntusche auf, die sich in meinen Rucksack verirrt hat, und sende Raven in Gedanken eine Dankesbotschaft – jetzt, wo sie auf der anderen Seite lebt, in Zombieland, kann sie nicht genug kriegen von all dem Plunder und den kleinen Annehmlichkeiten, von all den gut beleuchteten Geschäften mit Regalen über Regalen voller Dinge, die man kaufen kann.
    Ich spüre, dass Julian mich beobachtet. Ich kritzele eine Nachricht auf die Buchseite.
    Das Mädchen ist gewalttätig. Habe Angst, dass sie mich umbringt. Werde reden, wenn ihr mich SOFORT rauslasst.
    Ich schiebe die Nachricht durch die Katzenklappe in den Flur. Dann packe ich Das Buch Psst , die leere Wasserflasche und Teile des auseinandergenommenen Schirms wieder in den Rucksack. Ich nehme das Messer in die Hand, stelle mich neben die Tür und warte. Ich versuche ganz ruhig zu atmen und wechsele das Messer immer wieder von einer Hand in die andere, um mir die verschwitzten Handflächen an der Hose abzuwischen. Hunter und Bram haben mich mal mit auf die Hirschjagd genommen, nur zum Zusehen, und genau das konnte ich nicht aushalten: die Unbeweglichkeit, das Warten.
    Zum Glück warte ich nicht lange. Jemand muss die Klappe gehört haben. Ziemlich bald fällt eine Tür zu – eine weitere Information, und das ist gut. Es gibt also irgendwo eine andere Tür, einen anderen Raum hier unter der Erde. Kurz darauf höre ich Schritte, die auf mich zukommen. Hoffentlich ist es das Mädchen, das mit dem Ring in der Nase.
    Hoffentlich ist es nicht der Albino.
    Aber die Stiefelschritte sind schwer und als sie direkt vor der Tür verklingen, ist es ein Mann, der murmelt: »Was zum Teufel?«
    Mein ganzer Körper fühlt sich an wie aufgezogen, aufgerollt wie ein Kabel. Mir bleibt nur ein einziger Versuch.
    Ohne die Klappe habe ich einen guten Blick auf schlammverschmierte Springerstiefel und eine weite grüne Hose, so wie die von Laboranten oder Straßenfegern. Der Mann grunzt und tritt leicht mit dem Stiefel gegen die Klappe, als stupste er eine Maus an, um zu sehen, ob sie noch lebt. Dann kniet er sich hin und greift nach der Nachricht.
    Ich umklammere das Messer fester. Mir ist, als würde mein Herz kaum noch schlagen. Ich halte den Atem an und der Abstand zwischen den einzelnen Schlägen ist riesig.
    Mach die Tür auf.

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