Pandoras Tochter
ihrer Tochter halfen, zu überleben und ein normales Leben zu führen. Michael war sehr enttäuscht, weil er Hinweise auf Talente erkannte, die man nur selten findet. Er wollte noch weitere Tests durchführen. Sie lehnte ab.«
»Sie hat ihm die Bitte abgeschlagen?«
»Er hat sie nie wiedergesehen. Aber er behielt sie im Auge, weil er glaubte, es sei unverantwortlich, ein solches Potential zu ignorieren.«
»Das klingt so … klinisch.« Sie fröstelte. »Sie war kein Potential, sie war meine Mutter. Es war ihr gutes Recht, euer verdammtes Potential zu ignorieren und ein normales Leben zu führen. Ihr hättet sie in Ruhe lassen sollen.«
»Wir haben sie zu nichts gezwungen. Wir erklärten ihr die Situation und überließen ihr die Entscheidung.« Seine Lippen zuckten. »Ich will nicht behaupten, dass die Leute von der CIA sie nicht überredet haben. Sie zeigten ihr ein paar Fotos von den Kindern, die sie aus den Händen ihrer ›Besitzer‹ befreien konnten. Zwei von ihnen waren bereits mit Aids infiziert.«
»O Gott.«
»Danach hat sie sich bereit erklärt, diesen einen Auftrag zu übernehmen, aber nur diesen. Sie meldete dich für sechs Wochen in einem Feriencamp an. Du warst dreizehn. Erinnerst du dich?«
»Klar. Ich wollte nicht in dieses vermaledeite Camp. Ich wollte bei ihr bleiben. Sie sagte, ich müsste mehr unter Gleichaltrigen sein.« Nie im Traum hätte Megan daran gedacht, dass Sarah in jenem Sommer auf Verbrecherjagd gehen würde. Ihre Mutter hatte sie immer gedrängt, anderen Kindern gegenüber aufgeschlossener zu sein, deshalb erschien es vollkommen normal, dass sie sie ins Ferienlager schickte. »Wohin ist sie gefahren?«
»Nach Zentralafrika. Molino sollte sich dort mit einem seiner Gaunerkomplizen, Kofi Badu, zu einer Geldübergabe treffen. Damals lernte ich sie kennen. Wir kamen uns … nahe.«
»Wie nahe?« Und nach einer Weile setzte sie hinzu: »Wart ihr ein Liebespaar?«
»Nein. Sie war verängstigt, und ich versuchte, ihr zu helfen. Ich war daran gewöhnt, dass mich alle als Freak ansahen, aber sie war dem zum ersten Mal ausgesetzt. Sie hatte ihr Talent immer versteckt.« Er begegnete Megans Blick. »Dachtest du das, als ich in dem bewussten Sommer bei euch am Strand auftauchte? Dass wir ein Liebespaar sind?«
»Anfangs nicht. Aber manchmal kam es mir vor, als könntet ihr gegenseitig eure Gedanken lesen.« Und sie war eifersüchtig gewesen, erinnerte sie sich. Ihre Mutter hatte recht gehabt. Sie hatte sich Hals über Kopf in Neal Grady verknallt. Vom ersten Augenblick an hatte er sie gefangen genommen. Er war ihr Freund und Lehrer gewesen, trotzdem hatte sie sich auch sexuell zu ihm hingezogen gefühlt. Es hatte Momente gegeben, in denen sie ihn nur anzuschauen brauchte, und ihr Herz begann, schneller zu schlagen.
Um Himmels willen, damals war sie erst fünfzehn gewesen. Es war eine absolut normale Reaktion eines jungen Mädchens, das auf einen so attraktiven Mann wie Neal Grady trifft.
»Ich kann dir versichern, dass es nichts mit Übersinnlichem zu tun hatte, wenn wir unsere Gedanken erraten haben«, sagte Grady. »Wir saßen uns auf der Pelle, als wir im afrikanischen Dschungel waren, und das schweißt zusammen.«
»Hat meine Mutter Molino gefunden?«
»Ja.« Er verzog den Mund. »Wir gaben ihr ein rotes Hemd, das Molino in seinem Bordell auf Madagaskar hatte liegen lassen – das genügte ihr. Wir flogen in den Dschungel, wo wir ein Versteck von Kofi Badu vermuteten, und verbrachten drei Tage dort. Sie ortete Molino und führte ein Team zu ihm.«
»Und da hat sie Molinos Sohn getötet?«
»Nein, das war später. Der Vorstoß erwies sich als Reinfall. Sie hatten uns erwartet. Wir verloren sieben Männer … und deine Mutter wurde gefangen genommen.«
Megan zuckte zusammen. »Was?«
»Wir haben sie zwei Tage später wiederbekommen. Aber da war es bereits passiert. Sie hatte Molinos Sohn getötet.«
»Molinos Sohn ist mir egal«, gab sie hitzig zurück. »Was war mit meiner Mutter? Haben sie ihr etwas angetan?«
»Ja. Aber sie hat es überlebt und ist gestärkt aus der Sache hervorgekommen.«
»Was haben sie mit ihr gemacht?«
»Bist du sicher, dass du das wissen willst?«
»Ja, verdammt.«
»Molinos Sohn hat sie vergewaltigt.«
Megan wurde übel. »Dann bin ich froh, dass er tot ist.« Lieber Himmel, was hatte ihre Mutter durchgemacht! »Sie hat sich mir gegenüber nie etwas anmerken lassen. Als ich aus dem Ferienlager heimkam, war sie wie immer.«
»Ich hab dir
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