Pandoras Tochter
»Und ich bin nicht wie Grady oder Sie – ihr beide seid von dem parapsychologischen Zeug gehemmt. Ich mache, was mir gefällt, und überlass die richtig schweren Bürden anderen.«
»Wie nett von Ihnen. Ich beabsichtige nicht, mich von irgendetwas außer meinem eigenen Willen behindern zu lassen. Ich habe mich für die Medizin entschieden und werde auch dabei bleiben.«
»Schön für Sie.« Er fuhr los »Dann muss ich ja nur mit Grady Mitleid haben.«
Grady erwartete sie, als ihre Chartermaschine auf dem kleinen Flughafen Chantilly außerhalb von Paris landete.
Megan verspürte die mittlerweile vertraute Anspannung, als sie sah, wie er die Piste überquerte und auf das Flugzeug zukam. Der Wind drückte die Jeans und den dunkelblauen Pulli an seinen schlanken Körper. Irgendetwas war … anders an ihm. Bisher hatte er den Eindruck gemacht, als würde er seine Kraft im Zaum halten, aber jetzt wirkten seine Schritte zielstrebig und energiegeladen. Die Kraft war da, aber sie wurde nicht mehr zurückgehalten. Instinktiv wappnete sich Megan innerlich dafür, es mit dieser Energie aufzunehmen.
»Es ist okay«, raunte Harley, der ihren Gesichtsausdruck studierte. »Sie werden mit ihm fertig.«
Selbstverständlich. Und vielleicht bildete sie sich diese Veränderung in Gradys Haltung ja auch nur ein. Sie nickte, stand auf und ging zum Ausgang. »Zweifellos. Er sieht nur so kampfbereit aus.«
»Er ist in Aktion. Da sieht er immer so aus.« Harley folgte ihr den Gang hinunter. »Vielleicht nicht so ausgeprägt …«
»Irgendwelche Probleme?«, erkundigte sich Grady bei Harley, während er Megan beim Aussteigen half.
»Ein Verfolger in Stockholm, aber den bin ich losgeworden.«
»Indem er gefahren ist wie jemand aus einem alten Steve-McQueen-Film«, warf Megan ein.
»Ich bin besser«, protestierte Harley. »Dieser Stuntfahrer hätte den Typen niemals abgehängt. Er war ziemlich gut.« Er sah Grady an. »Und was jetzt?«
»Ich habe einen Bungalow in einem Motel in der Nähe reserviert. Dort bleiben wir, solange du alles checkst.«
Harley nickte. »Bin schon auf dem Weg. Ich miete einen Wagen und fange heute Abend an.« Er steuerte den winzigen Terminal am Ende der Rollbahn an. »Gib ihr was zu essen. Auf dem Flug von Atlanta wollte sie außer Erdnüssen nichts haben.« Er warf einen Blick über die Schulter und grinste Megan an. »Ich möchte nicht, dass jemand auf die Idee kommt, ich hätte sie nicht im Tipptopp-Zustand abgeliefert. Das ginge gegen meine Berufsehre.«
»Welcher Beruf das auch immer sein mag.« Megan schnitt eine Grimasse. »Im Moment führen Sie sich auf wie eine Glucke. Ich nehme nicht an, dass Sie schon einmal einen Job als Glucke hatten, hab ich recht?«
»Lieber Himmel, ja. Das wäre schauerlich. Viel zu viel Verantwortung.«
Sie lächelte unwillkürlich, während sie ihm nachsah. Sie hatte noch nie jemanden kennengelernt, der so komisch und schrullig war wie Harley, aber sie fühlte sich in seiner Gesellschaft unbefangener als in der etlicher Menschen, die sie seit Jahren kannte.
»Du magst ihn«, stellte Grady fest, ohne den Blick von ihrem Gesicht zu wenden. »Das überrascht mich nicht. Die meisten fühlen sich von Harley angezogen wie Planeten von der Sonne.«
»Ich denke, über diesen Vergleich würde er lachen. Vielleicht aber auch nicht. Möglicherweise würde er sich geschmeichelt fühlen oder es als geziemend ansehen.«
»Du hast Harley inzwischen ganz gut kennengelernt.« Er umfasste ihren Ellbogen und führte sie zu dem wartenden Auto. »Ich glaube, ich bin ein bisschen eifersüchtig.«
Sie bedachte ihn mit einem argwöhnischen Blick. »Und ich glaube, du lügst. Warum?«
»Weil ich einen Hauch Vertrautheit entdecke. In den letzten zwölf Jahren war ich derjenige, der in gewisser Intimität mit dir gelebt hat.« Er schaute ihr in die Augen. »Mir gefällt es nicht, wenn dir ein anderer so nahekommt.«
Ihr wurde heiß. Sein Geständnis kam aus heiterem Himmel und überrumpelte sie ebenso wie ihre Reaktion darauf. »Du mochtest in Intimität mit mir gelebt haben, aber das war vollkommen einseitig. Denkst du, ich hätte in all den Jahren nie echte Intimität mit Männern erlebt?«
»Nein, das denke ich nicht. Da war diese lauwarme Beziehung in deinem ersten College-Semester. Die war mir egal. Und dann war da noch die Sache mit diesem jungen Latino. Wie hieß er noch mal? Julio Sowieso.« Seine Lippen wurden schmal. »Dass du mit dem ins Bett gegangen bist, hat mich ganz
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