Pandoras Tochter
geflohen?«
»Nach England, Schottland, Irland, Dänemark, Deutschland. Er verstreute die Familie über die ganze zivilisierte Welt. Er glaubte, das sei sicherer für sie. Sie sollten sich den Kulturen der Zufluchtsländer anpassen, bis sie wieder nach Hause zurückkonnten.«
»Die Chronik«, drängte Megan.
»José rechnete mit der Möglichkeit, dass sich die Familienmitglieder aus den Augen verloren. Das wollte er verhindern. Er glaubte daran, dass Einigkeit stark macht. Deshalb begann er mit der Chronik und listete alle Namen, Adressen, Verwandtschaftsgrade und sogar die spezifischen Talente auf. Es wäre verheerend gewesen, wenn die Aufzeichnungen den Inquisitoren in die Hände gefallen wären, deshalb schickte José sie an seinen Bruder Miguel im Ausland. Miguel war der einzige Devanez, der wusste, wohin sich alle anderen geflüchtet hatten. Seine Aufgabe war, die Chronik weiterzuführen und die verschiedenen Familienzweige alle fünf, sechs Jahre aufzusuchen, um über Geburten, Todesfälle und so weiter auf dem Laufenden zu bleiben. Zur damaligen Zeit lebte jeder parapsychologisch Begabte mit der ständigen Gefahr, hingerichtet zu werden. Die Inquisition überdauerte in der einen oder anderen Form drei Jahrhunderte. Wenn es zu Schwierigkeiten kam, half Miguel den betroffenen Verwandten, sich in Sicherheit zu bringen. Mit der Zeit lernte er, das als heilige Pflicht anzusehen.«
»Genau wie Edmund.«
»Heutzutage nehmen die Hüter der Chronik die Aufgabe freiwillig an. Die Nachkömmlinge der Devanez sind mittlerweile weit verstreut und kennen sich nicht mehr. Die Geschichte wurde lediglich in der Kernfamilie des ersten Miguel Devanez von Generation zu Generation weitergegeben Nach allem, was ich herausgefunden habe, ist dieser Familienzweig groß genug. Offenbar sind die Devanez ausgesprochen fortpflanzungsfreudig.«
»Und woher weißt du das alles? Gehörst du zur Familie Devanez?«
Er schüttelte den Kopf. »Bis vor etwa fünfzehn Jahren wusste ich nichts von dieser Familie. Michael Travis besitzt eine Bibliothek und sammelt seit langem alles Geschriebene, was mit parapsychologischen Phänomenen zu tun hat. Ihm kam ein Dokument unter, das Priester, die die Aufgabe hatten, die Familie Devanez zu überprüfen, verfasst hatten. Es war ein Bericht über die heidnischen Aktivitäten der Familie während der Inquisition, in dem auch die Chronik ausführlich erwähnt wird.«
»Wie haben sie davon erfahren?«
»Nicht alle Angehörige der Familie sind aus Spanien geflohen. Ein anderer von Josés Brüdern, Ricardo, wurde an der Grenze festgenommen. Er wurde gefoltert und verriet schließlich alles, was er über den Exodus und die Chronik wusste.« Grady schürzte die Lippen. »Die frommen Priester waren, was die Folter angeht, ebenso geschickt wie Molino. Ein Glück, dass Ricardo kein Vertrauter Josés war und nicht wusste, wohin sich die einzelnen Familienmitglieder zurückgezogen hatten. Er wusste von der Existenz der Chronik, ansonsten konnte er dem Tribunal keine wesentlichen Informationen liefern. Natürlich glaubten sie ihm nicht, dass er nicht mehr wusste, und er starb auf der Folterbank.«
»Was wurde aus José Devanez?«
»Er blieb auf seinem Anwesen, bis dem letzten Angehörigen die Flucht gelungen war.«
»Und dann?«
»Er erfuhr, dass die Priester auf dem Wege zu ihm waren, um ihn festzunehmen. Und er tötete sich selbst, ehe sie ihn befragen konnten.«
»Genau wie Edmund …«
»José war in den Augen der Familie ein Märtyrer. Er hatte sie gerettet, ihnen neue Lebensgrundlagen geschaffen und sie beschützt, indem er sich selbst das Leben nahm. Fortan war es eine Ehre, zum Bewahrer der Chronik auserkoren zu werden, und eine Menge Mythen rankten sich um die Aufzeichnungen. Galahads und Lancelots Bedeutung war nach Ansicht der Devanez nichts dagegen. Aber Mythen neigen dazu zu verblassen und geraten im Laufe der Zeit in Vergessenheit.«
»Edmund hat sie nicht vergessen.«
»Nein, er hatte ein sanftes Gemüt und war voller Ideale.«
»Wie hat Molino von der Chronik erfahren?«
»Ich sagte bereits, dass er Michael Travis’ Hauptquartier nach Informationen über deine Mutter durchsucht hat.« Er hielt kurz inne. »Er fand sie in demselben Ordner, in dem auch die Protokolle des Tribunals über die Familie Devanez abgeheftet waren.«
Megan richtete sich auf. »Was?«
»Michael war ziemlich sicher, dass Sarah ein Abkömmling des Devanez-Clans war.«
»Und wie kam er darauf?«
»Sie hatte
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