Pandoras Tochter
ihn nicht im Stich lassen. Mir war klar, dass ich nichts für ihn tun kann, aber das spielte keine Rolle.« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist schwer zu erklären.«
»Du hättest die Tür nicht abschließen dürfen.«
»Ich wollte nicht, dass du uns unterbrichst. Ich dachte, dass du möglicherweise weißt, wie sehr wir leiden.«
»Nicht Gillem hat gelitten, sondern du, verdammt.«
»Wir beide waren das.« Sie hob die Hand und rieb sich die schmerzende Schläfe. »Du hattest recht, Edmund war ein guter Mann. Er hat etwas Besseres als so einen Tod verdient. Er hätte ein langes, erfülltes Leben haben müssen.«
»Was meinst du, wenn du sagst, dass ihr beide gelitten habt?«
»Ich habe einiges über Lauscher herausgefunden, was du an deinen Freund Michael Travis weitergeben kannst. Erstens, Edmund Gillem hätte Zulu sprechen können, und ich hätte ihn verstanden. Es ist eine emotionale Übermittlung. Zweitens, die Beteiligten hätten gar nichts sagen müssen. Ich wusste, was sie fühlten und dachten.« Sie schloss die Augen, als die Emotionen dieser Nacht wieder auf sie einstürzten. »Insbesondere war mir bewusst, was Edmund durchmachte. Er wollte nicht sterben.«
Grady schwieg einen Moment, dann: »Verdammt, ich bin richtig hilflos. Ich möchte etwas für dich tun. Wie kann ich dir helfen? Hast du Kopfschmerzen? Möchtest du ein Aspirin? Verdammt, das klingt lächerlich.«
Sie öffnete die Augen. »Mir tut alles weh, allerdings glaube ich nicht, dass Aspirin etwas dagegen ausrichten kann.« Sie betrachtete das helle Licht der Morgensonne, das durchs Fenster fiel. »Wie spät ist es?«
»Kurz vor elf. Du warst fast sieben Stunden weggetreten. Hast mir eine Heidenangst eingejagt.«
»Gut. Du solltest auch etwas von der Last spüren.« Sie setzte sich auf. »Schließlich hast du mich in diesen Wohnwagen geschickt. Ich hatte auch ganz schön Angst.« Sie schwang die Beine über den Bettrand. »Jetzt gehe ich unter die Dusche, putze mir die Zähne und ziehe mich an. Ich brauche all die kleinen Dinge, die unseren Alltag ausmachen, um von Edmund, Molino und den Ereignissen im Wohnwagen loszukommen.«
»Darf ich dir eine Frage stellen?«
»Nein, darfst du nicht.« Sie steuerte das Badezimmer an. »Wir reden später weiter. Bestell das Essen in dein Zimmer. Ich muss nachdenken und einiges verarbeiten, ehe ich wieder mit dir spreche.«
Er stellte seine Frage trotzdem: »Warst du bis zum Ende bei ihm?«
Sie blieb stehen, drehte sich jedoch nicht zu ihm um. »Du meinst bis zu dem Moment, in dem ihm klar wurde, dass er nicht länger durchhalten konnte und sicherstellen musste, dass sie die Chronik nicht in die Hände bekommen?«
»Ja.«
»Du hast verdammt recht«, antwortete sie bewegt. »Sie dachten, er wäre bewusstlos, und ließen ihn allein zurück. Der Spiegel war die einzige Waffe, die ihm zur Verfügung stand. Er hat sie benutzt.« Sie machte die Tür hinter sich zu und lehnte sich, von Trauer überwältigt, dagegen. Brich jetzt nicht zusammen. Sie hatte die Nacht durchgestanden, und die Erinnerung daran würde sie für den Rest ihres Lebens begleiten, aber sie durfte nicht zulassen, dass sie dieses Erlebnis schwächte. Edmund war nicht schwach gewesen. Er hatte gelitten und seinen Tod herbeigeführt, aber er hatte dem Drecksack nicht gegeben, was der von ihm haben wollte.
Sie straffte die Schultern und ging unter die Dusche.
»Wir stehen das durch, Edmund«, murmelte sie. »Molino wird niemandem mehr weh tun. Ich verspreche dir, dass er keinen Sieg davontragen wird.«
Gradys Handy klingelte in dem Augenblick, in dem Megan im Bad verschwunden war.
»Ist sie wieder bei Bewusstsein?«, fragte Harley.
»Seit ungefähr fünfzehn Minuten.«
»Und ist sie okay?«
»Nein, sie ist tief betroffen. Was hast du erwartet? Sie hat letzte Nacht die Hölle durchlebt.«
»Ganz ruhig. Blaff mich nicht an. Ich weiß nicht genug, um irgendetwas zu erwarten. Oberflächlich betrachtet, hat sie lediglich eine Stunde im Dunkeln verbracht.«
»Entschuldige.«
»Kein Problem. Wird sie sich davon erholen?«
»Vielleicht. Sie ist … anders.«
»Inwiefern?«
Das konnte Grady nicht genau sagen. Er hatte auch nicht gewusst, was sein würde, wenn Megan erwachte. Er hatte nur gebetet, dass sie keine bleibenden Schäden davongetragen hatte. Und sie könnte nach wie vor beeinträchtigt sein, auch wenn er noch nicht sah, in welcher Hinsicht. Er hatte Verwirrung und Angst gespürt, als sie den Wohnwagen betreten hatte.
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