Pandoras Tochter
Grady und Megan in den Park kamen. Er war allein.
Enttäuschung keimte in Megan auf. »Wo ist sie, Harley? Hast du sie verloren?«
»Nein, und sie hat mich nicht verloren.« Er nahm Megans Arm und zog sie ins Licht. »Heben Sie Ihren Kopf.«
»Was machst du da?« Grady trat einen Schritt vor.
»Ich tue ihr nicht weh.« In die Dunkelheit hinein rief er: »Da ist sie. Abgeliefert, wie versprochen. Kommen Sie raus … Kommen Sie raus, wo immer Sie stecken.«
»Das klingt nach einem Kinderspiel«, stellte Grady fest.
»Verstecken.« Harley nickte. »Das Suchen ist jetzt hoffentlich vorbei, und Renata versteckt sich auch nicht. Sie traut uns nur nicht über den Weg. Deshalb hat sie auch eine Waffe auf mich gerichtet. Meinen Revolver.«
»Deinen Revolver?«
»Das ist eine lange Geschichte.« Harley drehte sich wieder um und rief: »Renata, Sie hatten Zeit, sich Megan genau anzusehen. Heißt es jetzt ja oder nein?«
»Wie sollte sie mich erkennen?«, wollte Megan wissen.
Harley zuckte mit den Schultern. »Fragen Sie sie.« Er spähte in die Büsche. »Mein liebes Mädchen, ich habe Verständnis, aber es ist wirklich nicht höflich, fremde Menschen mit einer Waffe zu bedrohen. Das macht sie nervös.«
»Ich richte die Waffe nicht auf sie«, sagte die Frau, die auf sie zukam, »ich bin nur vorsichtig. Woher soll ich wissen, dass Molino sie nicht observieren lässt?«
Renata Wilger war jünger, als Megan vermutet hätte. Sie war Anfang zwanzig, klein, schlank, rothaarig und hatte Sommersprossen auf der Nase. Ihre braunen Augen blitzten, als sie Megan in Augenschein nahm. »Und wenn Sie nicht als Lockvogel benutzt werden, dann sind Sie entweder dumm oder kriminell fahrlässig, weil Sie hergekommen sind. Verschwinden Sie so schnell wie möglich aus München, und halten Sie sich fern von mir.«
Was für eine kleine Tigerin. »Sie wären nicht aus den Büschen gekommen, wenn Sie wirklich fürchten würden, dass Molino mich benutzt, um Ihnen eine Falle zu stellen. Und ich gehe nirgendwohin, bevor ich bekomme, was ich haben will.« Megan warf einen Blick auf die Waffe, die Renata in der Hand hielt und auf den Boden gerichtet hatte. »Geben Sie Harley seinen Revolver zurück, und lassen Sie uns reden.«
»Warum sollte ich mit Ihnen reden wollen? Wahrscheinlich haben Sie mir hier ohnehin schon alles verdorben. Ich werde die Flucht ergreifen müssen.«
»Vielleicht nicht.«
»Renata hat recht«, mischte sich Harley ein. »Sie hatte vorhin außer mir noch einen anderen Verfolger. Sie war bereits mit ihm fertig geworden, als ich in Erscheinung trat – sein Pass ist auf den Namen Raoul Falbon ausgestellt. Ich habe ein Handyfoto von ihm an Venable geschickt – das ist Gradys Freund bei der CIA, und er hat sich gerade bei mir gemeldet. Falbon lässt sich vom Meistbietenden anheuern, doch er arbeitet hauptsächlich für Molino.«
»Mit ihm fertig geworden?«, hakte Megan nach.
»Ich habe den Mistkerl getötet«, erklärte Renata unumwunden. »Was denken Sie denn? Dass ich ihm einen Klaps gebe, damit er sich morgen wieder an meine Fersen heftet? Das wäre nicht besonders schlau gewesen.«
»Das stimmt«, pflichtete Grady ihr bei. »Und jetzt muss Molino einen anderen schicken. Das verschafft uns ein wenig Zeit.«
»Das verschafft mir ein wenig Zeit«, korrigierte Renata. »Dank Ihnen brauche ich diese Zeit auch.«
»Wir haben Molino nicht zu Ihnen geführt«, erwiderte Megan. »Er konnte unmöglich den Namen der Person kennen, nach der wir gesucht haben. Ich kannte ihn bis vor kurzem selbst nicht.«
»Dann hat er ihn von derselben Quelle wie Sie erfahren.«
Megan schüttelte den Kopf. »Unmöglich.«
»Erzählen Sie mir nichts. Sie haben ja keine Ahnung, wozu er fähig ist, wenn er etwas haben will.«
»Das weiß ich, glauben Sie mir.« Megan sah ihr unverwandt in die Augen. »Ich war dabei.«
»Blödsinn. Sie waren all die Jahre in Ihrem sicheren Versteck in Georgia. Sie haben ja keinen Schimmer.«
»Woher wollen Sie das wissen?« Sie erinnerte sich an etwas. »Und woher wussten Sie, wie ich aussehe?«
»Aus der Chronik.«
»Was?«
»Fotos. Berichte. Ihre Mutter wurde gefunden und in die Chronik aufgenommen, als sie ein Teenager war. Danach haben wir Sie beide im Auge behalten, bis Sie mit fünfzehn von der Bildfläche verschwanden. Es hat lange gedauert, aber Edmund ist es schließlich gelungen, Sie in Ihrem zweiten Studienjahr ausfindig zu machen.«
»Edmund …«
»Edmund Gillem.« Renata schwieg einen
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