Pangea - Der achte Tag
habe Yuanfen und die anderen Mädchen getötet.«
»Das glaubt er nicht wirklich!«
Sie zuckte mit den Achseln. »Mingan ist hier irgendwo, aber ich kann sie nirgends finden. Irgendwas geht hier vor, Sariel. Und ich hab kein gutes Gefühl dabei.«
»Und was hab ich damit zu tun?«
Liya zögerte und fuhr dann stockend fort: »Also, ich hab mich schon die ganze Zeit gewundert, warum die Sari ausgerechnet dich geschickt haben. Nimm's jetzt nicht persönlich, aber ... du bist einfach kein ernst zu nehmender Gegner. Du kannst kein Sariel sein!« Sie schwieg wieder, und Sariel spürte, dass das noch nicht alles war, was sie sagen wollte. Schließlich gab sie sich einen Ruck.
»Jetzt hältst du mich gleich für verrückt. Es ist nur so eine Vermutung, aber ... vielleicht warst du ja nur ein Ablenkungsmanöver. Vielleicht gibt es ja noch einen richtigen Sariel.«
Sariel blickte Liya an. »Und wer ...?«
»Ich weiß es nicht! Verdammt, wenn ich's wüsste! Aber wenn ich recht habe, dann ist der echte Sariel mitten unter uns. Und er muss ein ausgezeichneter Kämpfer sein. Ein Zhan Shi!«
Sariel blickte Liya an und wusste augenblicklich, was sie dachte. »Du denkst, es ist Li, nicht wahr?«
Liyas Augen wurden feucht, und sie verzog das Gesicht, um die Tränen nicht zuzulassen. Sariel dachte nach. »Das klingt sogar irgendwie sinnvoll, nach allem, was passiert ist.«
»Du hältst mich nicht für verrückt?«
Sariel schüttelte den Kopf. »Wenn du aber wirklich recht hast, bin ich in allergrößter Gefahr. Der echte Sariel wird bestimmt versuchen, mich zu töten. Und dich auch.«
Liya nickte. »Hab ich auch schon gedacht.«
»Was hast du jetzt vor?«
»Ich weiß nicht. Ich hab Li nicht mehr sprechen können.«
»Du musst sehr vorsichtig sein. Bestimmt wirst du beobachtet. Wo ist die Zeitbombe?«
»Das ist es ja! Li hat den Auftrag, sie wegzubringen!«
Sariel nickte wieder. »Dann scheinst du wirklich recht zu haben. Also, so wie ich das sehe, haben wir keine Wahl. Du musst mich befreien und wir müssen uns auf die Suche nach Li und der Bombe machen.«
Liya blickte Sariel ernst an. »Weißt du überhaupt, was du da sagst? Das wäre Hochverrat!«
»Vermutlich.«
Liya wandte sich wieder ab und schwieg eine Weile.
»Ich werde versuchen, irgendwie an Mingan heranzukommen. Vielleicht hat sie doch etwas gesehen, was meinen Verdacht bestätigt.«
»Und was wird so lange aus mir?«
Sie wollte gerade etwas sagen, als von draußen Schritte heranschlurften. Abrupt sprang Liya auf. »Ich muss gehen!«
Ein Wärter öffnete die Tür und Liya verschwand wie ein Spuk aus der Zelle und hinterließ nur einen Hauch ihres Geruchs und den schalen Geschmack enttäuschter Hoffnung. Die Tür knallte wieder zu und Sariel fühlte sich noch elender als zuvor.
»Ich komm ja wieder!«, raunte Liya ihm plötzlich durch die verschlossene Tür zu, und zum ersten Mal seit Tagen lächelte Sariel.
Weder Liya noch Mingan wurden offiziell als Gefangene behandelt, aber es war klar, dass jedes Verlassen des Palastes als Schuldeingeständnis ausgelegt werden konnte. Im Palast war es seltsam still, man sah nur wenig Krieger, eine eigenartige Spannung lag über den versprengten Gebäuden. Draußen dagegen, im dunstigen Licht der langen Pangea-Dämmerung, wimmelte, vibrierte und wisperte das Leben. Es war kurz nach der Trockenperiode in der Siringit, die schönste Zeit des Jahres. Alles blühte, die Märkte von Orisalaama waren voll mit frischen Waren, es wurde wärmer, und vor allem in den Abendstunden waren die Gassen voller Menschen, Sandspringer und Kalmare. Der gefangene Sariel war das Hauptthema sämtlicher Gespräche, und je weniger Nachrichten aus dem Palast sickerten, desto wilder wucherten die Gerüchte. Liya sehnte sich nach einem Spaziergang durch die Stadt, aber sie wusste, dass sie noch warten musste. Dass sie noch etwas zu tun hatte. Mit ihrem verletzten Bein humpelte sie hastig durch die Höfe und Flure des riesigen Palastes. Sie hatte es eilig. Sie hatte ein Ziel.
Ein redseliger junger Zhan Shi, der bei den Verhören dabei gewesen war, hatte ihr verraten, wo sie Mingan finden konnte. Liya hatte keine Mühe, das unscheinbare zweistöckige Schlafgebäude zu finden, das wie alle Gebäude in Orisalaama mit ockerfarbener Erde verputzt war und jetzt im Abendlicht wie ein Goldstück leuchtete. Eine steile Treppe führte an der Mauer hinauf in den ersten Stock, und keiner der Zhan Shi, die hin und wieder vorbeikamen, beachtete das
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