Pangea - Der achte Tag
niederschlug.
Für Mingan gab es schon lange kein Zurück mehr. Nicht seit die Stimme des Herrn zu ihr sprach und ihr befahl, was sie tun sollte. Sie ahnte nicht, dass die Stimme in Wirklichkeit einem jungen Sari namens Khanh gehörte, der sie vor einem Jahr entführt, betäubt und ihr mit ferngesteuerten Chirurgie-Robotern mehrere winzige elektronische Dinge implantiert hatte. Das eine war ein mikroskopischer Empfänger und Sender in ihrem Innenohr, über den er zu ihr Kontakt hielt. Das andere waren zwei winzige Kameras in Mingans Pupillen, nicht größer als ein paar Nervenzellen, die jedoch ein gestochen scharfes Bild in eines der Toten Häuser von Sar-Han schickten. So sah Khanh alles, was auch Mingan sah.
Mingan wusste nichts davon. Auch nicht, dass Khanh und seine Leute über zwei Jahre gebraucht hatten, bis sie mit einem geknackten Genscanner den Zhan Shi gefunden hatten, dessen genetischer Code ihren besonderen Anforderungen genügte. Der Krieger sollte möglichst jung sein, begabt in der Gefühlskontrolle, und gleichzeitig eine Veranlagung zur Psychose haben. Khanh und seine Leute hatten an einen Mann gedacht, aber sie fanden nur Mingan. Wie sich später herausstellte, ein Glücksgriff. Khanh hätte sich keine willigere Marionette erträumen können. Ein Befehl genügte und Mingan war bereit zu töten. Khanh hatte ihr zudem eine kleine Zeitmaschine mitgegeben, wie sie die Zeitvögel der Sari verwendeten. Khanh hatte sie gestohlen und so manipuliert, dass sie alles im Umkreis von einigen Metern ins Nichts zwischen Raum und Zeit katapultierte. Mit ihrer Hilfe würde Mingan nach Erledigung ihrer Mission spurlos verschwinden.
Für Mingan war Khanh ein höheres Wesen, dem sie bedingungslos gehorchte. Der Herr hatte ihr einen Auftrag erteilt. Und er hatte ihr eine mächtige Waffe geschenkt, die sie erst auf sein Zeichen hin einsetzen würde. Der Herr hatte sie geführt und beschützt. Der Herr hatte ihr befohlen, die Mädchen zu töten, und sie hatte es getan. Der Herr hatte sie durch die Wüste zurück nach Orisalaama geführt. Der Herr hatte ihr gesagt, was sie dem Gon Shi auf seine Fragen antworten sollte. Der Herr hatte sie Geduld gelehrt. Der Herr hatte Li zu ihr geschickt, von dem sie oft träumte. Der Herr war gut zu ihr. Aber Li war misstrauisch. Er glaubte ihr nicht.
Als sie dann den erschrockenen Gefühlsausbruch hinter der Tür bemerkte, hatte sie gleich gewusst, dass das nur Liya sein konnte. Und der Herr sagte:
Töte sie, Mingan! Jetzt ist die Zeit!
Li war schneller aufgesprungen und Liya hinterhergerannt. Mingan war in der Aufregung über einen Schemel gestolpert, und als sie aufs Dach kam, war Liya bereits verschwunden. Nur Li stand noch da und rief ihr nach und in seiner Stimme lag so etwas wie Verzweiflung.
Da sprach der Herr erneut zu Mingan:
Er ahnt unser Geheimnis. Er wird alles verraten. Töte ihn.
Mingan zögerte einen Moment. Sie wollte Li nicht töten. Nicht ihn. Doch der Herr wurde zornig.
Töte ihn, Mingan! Oder ich töte dich!
Da zögerte Mingan nicht länger und schlug Li mit einem gezielten Schlag in den Nacken. Ohne einen einzigen Laut sackte er zusammen und rührte sich nicht mehr. Li war dumm gewesen, überheblich und dumm. Er hatte gedacht, sie zu verhören, dabei war es genau umgekehrt gewesen. Der Herr hatte ihr die Worte vorgeflüstert. Geschickte Worte, raffinierte, unschuldige Gegenfragen und hin und wieder ein verlegener Augenaufschlag, eine zarte Geste, eine flüchtige Berührung. Und im Grunde war Li auch nur ein Angeber wie die meisten Jungen. Mingan wunderte sich immer noch, wie leicht es gewesen war, ihm zu entlocken, wo sich die Zeitmaschine des Sariel befand.
»Soll ich die da unten ebenfalls töten, Herr?«
Nein. Du brauchst einen Zeugen gegen Liya. Aber sie darf keinen Alarm schlagen! Finde Liya und töte sie!
Mingan rannte zurück ins Gebäude, wo die junge Zhan Shi, die Liya überrascht hatte, immer noch ratlos herumstand.
»Was ist denn los?«, rief sie Mingan zu.
»Liya hat Li getötet!«, rief Mingan und veränderte ihre Gefühlsaura, dass man ihr die Verzweiflung fast abnehmen konnte. Es wirkte. Mingan konnte den Schreck der jungen Zhan Shi spüren. »Ich werde sie verfolgen. Bleib bei Li, egal was passiert! Ich verständige den Gon Shi.«
»Soll ich Alarm schlagen?«
»Nein! Das würde es nur schwerer machen, Liya zu fassen. Tu, was ich dir sage!«
Die Kriegerin nickte eingeschüchtert und erklomm die steile Treppe zum Dach. Mingan verlor
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