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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
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eine Chance gehabt, genauso wenig wie Kurkuma, der vermutlich irgendwo als verrottendes rotes Fellbündel am Straßenrand lag, in einer fernen Zeit, an die Sariel sich kaum noch erinnerte. Und bald, so erwartete er, würde auch die letzte Erinnerung mit seinem Leben völlig verlöschen.
    »Sariel!« Eine Stimme von irgendwo. »Sariel!« Sehr drängend jetzt. Verzweifelt, verwirrt.
    Sariel blickte auf und erwartete, einen Zhan Shi vor sich zu sehen, der sein Shi auf ihn richtete. Aber da war niemand. Immer noch lag der Gang völlig verlassen. Da erst begriff Sariel, dass die Stimme in seinem Kopf war.
    Dass es Liyas Stimme war.
    »Sariel, bist du da irgendwo?«
    »Liya!«, flüsterte Sariel verwirrt. »Bist du das?«
    »Du stellst schon wieder Fragen! Natürlich bin ich das!«
    Sariel richtete sich ein wenig auf und versuchte, die Richtung zu bestimmen, aus der die Stimme kam.
    »Du bist nicht tot?«, fragte er vorsichtig und hörte, wie Liya irgendwo im Nirgendwo ein ungehaltenes Geräusch machte.
    »Wenn ich tot wäre, würde ich ja wohl kaum mit dir sprechen können, nicht wahr?«
    Das klang logisch, wenn auch immer noch nicht ganz überzeugend. »Wo bist du, Liya?«
    »Verdammt, wenn ich das wüsste! Es ist so dunkel hier. Ich weiß nicht, wo ich bin. Irgendwo. Nirgendwo. Ich hab Angst!«
    Ihre Stimme klang ganz nah. Für einen Moment dachte Sariel an das, was ihm seine Mutter einmal über Schizophrenie erzählt hatte. Die Patienten hörten Stimmen, sahen Dinge und rochen Gerüche, die nur in ihrem Kopf entstanden. Aber sie glaubten, dass sie von außen kamen. Sariel hatte in seinem früheren Leben oft gedacht, verrückt zu sein, ein Psycho, wegen seiner Vorahnungen. Seine Mutter und andere Ärzte hatten Hunderte von Tests mit ihm gemacht und ihm bescheinigt, dass er kerngesund war. Sariel hatte kapiert, dass er nicht krank, sondern nur anders war. Deswegen hatten ihn die Sari auch durch die Zeit entführt. Und wenn er also nicht verrückt war, dann konnte eine Stimme in seinem Kopf auch real sein. Ganz und gar lebendig.
    Sariel richtete sich auf. Die Sari hatten ihm nicht viel über die Phänomene bei Zeitreisen erklärt, aber immerhin wusste Sariel inzwischen, dass Dinge und Menschen irgendwo zwischen Raum und Zeit verloren gehen konnten. Und das bedeutete .
    »>Ich habe eine verdammte Scheißangst, Sariel! Hilf mir!«
    »Ich hab aber keine Ahnung, wie!«
    »>Wo ist Mingan?«
    »Geflohen. Keine Ahnung, wohin.«
    »>Wo bist du?«
    »Immer noch an der gleichen Stelle.«
    »>Du musst da weg! Gleich werden sie kommen. Wenn sie dich erwischen, werden sie dich töten, und dann habe ich keine Chance mehr, zurückzukommen.«
    »Kannst du nicht versuchen, mit deinem Vater Kontakt aufzunehmen und ihm alles zu erklären?«
    »Hab ich schon versucht. Aber du bist der Einzige, den ich erreiche.«
    »Scheiße.«
    »Frag mich mal. Ich will hier raus, Sariel! Hol mich hier raus!« Ihre Stimme klang nun panisch.
    »Beruhig dich! Hauptsache, du lebst!«
    »Aber wie lange noch, verdammt?« Gute Frage. Sariel hatte keine Ahnung.
    »Na super!«, stöhnte Liya in seinem Kopf. Sariel begriff, dass sie ihn nicht nur hören, sondern auch seine Gedanken lesen konnte. Gefiel ihm nicht. Sariel dachte fieberhaft nach, was er tun konnte. All seine Gedanken aber waren von einem starken Gefühl überlagert: unbändige Freude über Liyas Überleben.
    »Schön, dass du dich freust«, sagte Liya trocken. »Aber vielleicht können wir das auf später verschieben. Du musst raus aus dem Palast. Und zwar schnell!«
    Wo sie recht hatte, hatte sie recht. Sariel sprang auf und blickte sich um. »Erklär mir, wie ich zu den Kalmarställen komme!«
    Er hatte inzwischen einen Plan. Oder so etwas Ähnliches. Er brauchte die Unterstützung der Sari. Nur sie konnten Liya helfen. Also musste er die Zeitbombe zurückholen und seinen Auftrag erledigen. Und dazu musste er Mingan verfolgen. Es war ihm egal, ob Liya dieser Plan möglicherweise nicht gefiel, denn er hielt ihn für ihre einzige Chance.
    Es war bereits dunkel, als Sariel ins Freie trat. Geführt von Liyas Stimme in seinem Kopf, gelang es ihm, unerkannt bis zu den Ställen vorzudringen. Biao war als einziger Kalmar noch wach. Die anderen etwa fünfzig Kalmare in diesem Stall lagen bereits zusammengerollt im seichten Wasser, blubberten leise und träumten ihre rätselhaften Träume. In einer Ecke des Stalls sah Sariel einen riesigen Haufen von etwas, das wie Schnecken- oder Muschelschalen aussah.

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