Pangea - Der achte Tag
erhalten. Ohne Eyla hätte Lin-Ran sich niemals kampflos ergeben und zugestimmt, die Regierungsgeschäfte offiziell weiterzuführen, um Unruhe in der Stadt zu vermeiden. Bislang war alles friedlich geblieben in der Stadt. Ein deutliches Zeichen für Khanh, dass die Sari längst auf eine Veränderung gewartet hatten.
Lin-Ran stand Tag und Nacht unter Beobachtung, für den Fall, dass er doch noch irgendeine Form von Widerstand versuchen sollte. Aber der Schock, dass seine eigene Tochter ihn verraten hatte, saß offenbar zu tief. Außerdem war Lin-Ran ein vernünftiger Mann, der erkannte, wann er verloren hatte. Khanh hatte ihn stets bewundert und viel von ihm gelernt. Er bedauerte es sogar, dass er Lin-Ran in jedem Fall töten musste, sobald die Machtübernahme auf ganzer Linie vollzogen war. Aber auch in diesem Fall würde er sich kein Gefühl gestatten, das den Plan gefährden konnte.
Für Eyla schien der Sturz ihres Vaters kein Problem zu sein, immerhin gewann sie ja dadurch an Freiheit und Macht. Sie hatte es widerspruchslos hingenommen, als Khanh am Tag nach dem Abflug des Sariel zu ihr zog. Für später plante er, eines der Toten Häuser standesgemäß auszubauen, aber fürs Erste war die Wohnung eine akzeptable Zwischenlösung. Eyla und Khanh verloren kein Wort darüber, was vorher gewesen war, denn das gehörte einer Zeit und einer Tradition an, die keinerlei Bedeutung mehr hatte. Fortan waren sie beide die Zukunft der Sari.
Khanh hatte den Sariel vom ersten Tag an gehasst. Nicht nur weil er so jung war und Eyla völlig selbstverständlich mit ihm geschlafen hatte. Khanh hatte den Sariel stets als Gefahr für den Bestand der Sari betrachtet, der Kult um den Sariel hatte ihn sein Leben lang angewidert. Der Sariel war nur ein überflüssiger Fremdkörper. Ein Fehler. Ein Ausdruck der Ohnmacht der Alten. Sein Feind. Was lag also näher, als ihm nicht nur sein Leben, sondern auch seine Freundin und seinen Luxus zu nehmen, den der Sariel sich ohnehin durch nichts verdient hatte.
Das einzige Problem war, dass der Sariel noch lebte. Khanh hatte Eyla immer noch in Verdacht, bei der Rettung des Sariel ihre Finger im Spiel gehabt zu haben. Aber das war jetzt unwichtig. Der Sariel würde sterben, so oder so. Schon bald. Ruckartig erhob sich Khanh vom Bett und zog sich rasch an.
»Gehst du schon?«, fragte Eyla, die plötzlich in der Tür stand. Khanh schenkte ihr nur einen flüchtigen Blick.
»Es ist noch nicht vorbei«, sagte er knapp und stöpselte sich sein Com ins Ohr, das ihn sofort mit Mingan verband. Er konnte sie atmen hören, ganz nah. Für einen Moment freute er sich, dieses inzwischen vertraute Atmen zu hören, vertrauter als das Atmen von Eyla, aber er unterdrückte dieses Gefühl sofort.
Eyla hatte die Veränderung in seinem Gesicht dennoch bemerkt. »Wirst du sie nach Sar-Han holen, wenn alles vorbei ist?«
Khanh blickt Eyla erstaunt an. »Warum sollte ich das tun?«
»Du bist ihr was schuldig.«
»Ich bin niemandem etwas schuldig.«
»Natürlich nicht«, sagte Eyla hastig und senkte den Blick.
Khanh überlegte, ob er zu Lin-Ran ins Centro fahren sollte, entschied jedoch, dass das noch Zeit hatte, und fuhr auf direktem Weg in die verbotene Sperrzone zu den Toten Häusern, wo er sein Hauptquartier errichtet hatte. Sobald das Virus vernichtet war und die Sari darangehen konnten, Pangea zu besiedeln, wollte er aus der Sperrzone einen prächtigen Regierungsbezirk machen, ein Symbol für den Sieg der Vernunft und den Neubeginn.
Im Augenblick wirkte die Stadt äußerlich noch unverändert. Khanh sah zwar weniger Menschen als sonst auf den Straßen, aber das war zu erwarten gewesen. Sie warteten alle ab, was noch passieren würde. Wichtig war nur, dass die Stadt weiterhin funktionierte, dass der tägliche Ablauf nicht unterbrochen wurde. Die Sari sollten das Gefühl haben, nichts habe sich zu ihrem Schaden verändert.
In seinem Hauptquartier empfing Khanh die Mitglieder seines neu gebildeten Rates. Sämtliche neuen Ratgeber waren in seinem Alter. Er kannte jeden von ihnen seit Jahren und wusste, dass er sich hundertprozentig auf sie verlassen konnte. Sie kannten ihre Aufgabe und arbeiteten reibungslos zusammen. Genau, wie er sich seine neue Welt vorstellte.
Die Welt der Sari.
Khanh hörte sich an, was seine Ratgeber zu sagen hatten. In der Nglirr-Produktion gab es kleinere Probleme. Eine junge Sari hatte sich geweigert, weiterzuarbeiten, und war entfernt worden. Ähnliche Berichte kamen auch von der
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