Pangea - Der achte Tag
Stärke und der Mut des Nimrods endgültig auf ihn übergingen. Danach fühlte er sich besser. Er lehnte sich zurück in den Sand und blickte in den Sternhimmel, der ihm langsam immer vertrauter wurde.
»Erzähl was von dir«, sagte er plötzlich.
»Ich hab doch schon von mir erzählt.«
»Du hast von den Ori erzählt. Wie ihr lebt und wie man jagt, wie man einen Kalmar reitet und einen Nimrod ausnimmt. Aber noch nichts von dir. Von dir weiß ich gar nichts.«
»Was möchtest du denn wissen, großer Jäger?« Sie klang belustigt. Das verunsicherte ihn wieder.
»Ich weiß nicht. Irgendwas halt. Ach was, ist schon gut.«
»Ich erzähle dir was. Aber nicht, wie du denkst.«
Und ehe Sariel nachfragen konnte, was sie damit meinte, begann sie.
»Es war einmal eine Wüstenprinzessin, die lebte allein in einer Oase, die lag so weit abseits und versteckt, dass keine Karawane sie je erreichte. Niemand wusste überhaupt, dass es diese Oase gab, und das war der Wüstenprinzessin auch nur lieb und recht, denn sie war furchtbar hässlich. So hässlich, dass die frischesten Mondtränen in ihrer Nähe augenblicklich verdarben. Daher verhüllte die Wüstenprinzessin ihr Gesicht mit einem Schleier und wagte niemals, ihn abzunehmen. Ihr einziger Freund war ein goldener Kalmar, der bei Vollmond aus der Wüste kam, um an der Quelle der Oase seinen Durst zu stillen und die Stimme der Prinzessin zu hören. Denn im Gegensatz zu ihrer Hässlichkeit war die Stimme der Prinzessin so hell und klar wie die eines Kukus. Und wenn der goldene Kalmar sie besuchen kam, dann sang sie die ganze Nacht für ihn, und ihre Stimme flog hinauf bis zu den Sternen und mit dem Wind über die Wüste hinweg, und jedes Lebewesen, ob klein oder groß, das ihre Stimme hörte, fühlte sich mit einem Mal so lebendig und schön wie nie zuvor.«
Während Liya ihr Märchen von der Prinzessin Shan und dem goldenen Kalmar erzählte, ging hinter dem Ngongoni im Osten der Mond auf. Die Luft war immer noch warm und das Land um ihn herum eine einzige große Verheißung. Eingehüllt in Nacht und Mondlicht und Liyas Stimme, fand Sariel, dass es keinen schöneren Ort auf der Welt gebe, und fühlte sich ganz und gar angekommen.
Gleichzeitig vermisste er sein Zuhause, seine Eltern und den Kater so schmerzlich wie lange nicht mehr. Diese beiden starken widerstreitenden Gefühle hielten ihn noch lange wach. Als Liya ihr Märchen beendet hatte, wurde sie schweigsam, als spürte sie, wie es Sariel ging. Vielleicht erwartete sie auch, dass Sariel noch etwas sagte.
Wie ihm das Märchen gefallen habe. Oder dass er sie in dem Märchen irgendwie entdeckt hatte.
Aber Sariel schwieg. Biao hatte sich bereits in der Nähe des Zeltes niedergelassen und träumte. Die Nacht vibrierte unter tausend Geräuschen und Sariel zitterte unter der Last des Heimwehs und des Glücks in seiner Brust. Er dachte an Liya, stellte sich vor, wie sie ausgesehen hatte auf ihrer gemeinsamen Wanderung nach Orisalaama. Er versuchte, auch an Eyla zu denken, doch obwohl er sie erst wenige Wochen zuvor zum letzten Mal gesehen hatte, konnte er sich kaum noch an ihr Gesicht erinnern. Wenn er an Liya dachte, so fiel ihm jede Einzelheit ihres Gesichts ein, jedes Grübchen, die kleine Delle in ihrer Nase, der spöttische Mundwinkel, die steile Wutfalte an der Nasenwurzel, und wie sie die Finger spreizte, wenn sie etwas erklärte. Liya. Er hatte sie zum Lachen gebracht und sie ihn. Sie hatte ihn verflucht und sie hatte ihn gelobt.
Sie hatte sich bei ihm entschuldigt.
Sie hatte sich bei ihm bedankt.
»Hör endlich auf damit! Wenn du dir einbildest, dass wir jetzt ein Paar wären oder so, dann kannst du dich schon mal gleich auf die größte Enttäuschung deines armseligen Lebens vorbereiten.«
Sariel stöhnte. »Hattest du mir nicht was versprochen?«
»Ja, aber dann denk auch leise! Wäre eh besser, zu schlafen. Morgen wird es wieder anstrengend.«
Also kroch er in sein Zelt und zwang sich, nicht mehr an sein Zuhause und an Liya zu denken. Er hätte sich gern in ihren Kyrrschal eingewickelt, aber der diente ja als Frischhalteverpackung für das Fleisch des Nimrods. Also rollte sich Sariel einfach auf dem Boden zusammen und versuchte vergeblich, eine bequeme Position und etwas Schlaf zu finden.
»Wer ist Eyla?«
»Ich schlafe!«
»Sag schon.«
»Eine Sari.«
»Ist sie schön?«
Sariel antwortete nicht.
»Liebst du sie?«
Er hatte die Frage befürchtet. Überlegte. »Nein.«
Und wieder Schweigen. Nach
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