Pangea - Der achte Tag
die Hütte zu kommen. Denn genau das hatte seine Mutter immer getan, wenn er krank war: Sie war bei ihm gewesen, die ganze Zeit, und Sariel erinnerte sich noch gut, dass er das sogar in seinen schlimmsten Fieberträumen gewusst hatte.
Und die Mutter des Jungen verstand das.
Den ganzen Tag und die kommende Nacht verbrachten Sariel und die Wald-Ori neben dem Jungen. Abwechselnd tupften sie seine Stirn ab und die Mutter des Jungen schenkte Sariel manchmal einen dankbaren Blick. Als die lange Pangea-Nacht allmählich zu Ende ging und das erste Dämmerlicht durch den Rauchabzug sickerte, sank das Fieber, und der Junge fiel endlich in einen ruhigen, erschöpften Schlaf.
Am Morgen erschien die Häuptlingsfrau in der Hütte und wechselte ein paar rasche Worte mit der Mutter. Danach warf sie Sariel einen seltsamen Blick zu und verschwand wieder. Kurz darauf brachte man ihm frische Mondtränen und Wasser. Sariel war zum Umfallen hungrig, dennoch zögerte er, das Essen anzurühren, aus Angst, es könnte vergiftet sein. Erst als ihm die Mutter des Jungen aufmunternd zunickte, griff er beherzt zu.
Diesen Tag und auch noch die kommende Nacht brachten sie auf diese Weise zu. Sie sprachen nicht viel, der junge falsche Magier und die Wald-Ori. Sariel dachte auch nur kurz daran, dass Mingan nun bald einen uneinholbaren Vorsprung hatte. Das war nicht zu ändern. Falls es ihr gelang, den Krater ungehindert zu erreichen und die Zeitmaschine zu zünden, dann sollte es eben so sein.
Dann war es eben Schicksal. Nicht zum ersten Mal.
Zwischendurch schlief er kurz und wachte dann wieder mit der Mutter bei dem Jungen. Das Fieber ging. Und kam zurück. Aber die Schübe wurden kürzer. Sariel kaute frischen Kräuterbrei und wechselte den Pflanzenverband. Und in der Nacht, um wach zu bleiben und weil er fand, dass der Junge in seinem Fieber eine Stimme hören sollte, erzählte er das Märchen von der Prinzessin Shan und dem goldenen Kalmar, das er von Liya kannte.
Irgendwann fiel auch Sariel in einen schweren Erschöpfungsschlaf voller wirrer Träume. Als er am Morgen des kommenden Tages erwachte, war der Junge bei Bewusstsein.
Gleichzeitig war Liya verschwunden.
Sariel fiel es zunächst nicht auf, da er zu überrascht vom Anblick des Jungen war, der hellwach und mit klaren Augen neben seiner Mutter saß und stückchenweise Mondtränen verzehrte, die sie ihm reichte. Die Mutter lächelte Sariel an und nickte ihm zu. Dann kümmerte sie sich wieder um ihren Jungen.
»Wir haben es geschafft!«, dachte Sariel glücklich und stolz. »Wir haben ihn gerettet! Wir beide zusammen!« Stille.
Sariel dachte den Gedanken noch einmal, aber auch diesmal blieb eine Antwort aus. »Liya? He, Liya! Pennst du oder was? ... Liya, mach keinen Scheiß, sag was! Das finde ich nicht komisch!«
Panik ergriff ihn, eine große Faust, die sein Herz plötzlich zusammenpresste. Er dachte zunächst, es läge an ihm, also richtete er seine ganze Konzentration auf Liya, stellte sie sich vor, formte ihren Namen mit den Lippen und rief sie in Gedanken. Aber Liya antwortete nicht mehr. War spurlos irgendwo in Raum und Zeit verloren gegangen, während er geschlafen hatte.
Die Verzweiflung war ihm jetzt deutlich anzusehen. Die Mutter des Jungen blickte ihn besorgt und ein wenig ängstlich an. Sie flüsterte ihrem Jungen etwas zu und verließ die Hütte. Kurz darauf kam sie mit der Häuptlingsfrau zurück. Die alte Wald-Ori sah den gesunden Jungen und dann Sariel, der sie anstarrte, ohne sie wirklich wahrzunehmen, und immer nur »Liya!«, murmelte.
Das rettete Sariel das Leben. Die Wald-Ori gingen davon aus, dass Sariel sein Leben gegen das des Jungen getauscht hatte und an dem Fieber, das nun in ihm steckte, über kurz oder lang sterben würde. Das flößte ihnen offenbar so viel Respekt ein, dass sie Sariel nun wie einen Ehrengast behandelten. Sie brachten ihm Essen und frisches Wasser und gaben ihm seine Sachen zurück, sogar die Säbelzähne des Nim-rods, und stellten ihm eine eigene Hütte auf der Lichtung zur Verfügung, wo er in Ruhe den Geist des Nimrods ausatmen und sterben konnte.
Sariel ließ alles mit sich geschehen. Seitdem Liyas Stimme verschwunden war, fühlte er sich ohnehin fast wie tot. Unendlich leer und wund, als ob ihm ein Teil seines Körpers abgerissen worden war. Er hatte keinen Zweifel, dass Liya tot war.
Dass er sie nicht schnell genug hatte retten können. Dass er schuld war. Und das bedrückte ihn mehr als alles Heimweh, lähmte ihn und
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