Pangea - Der achte Tag
kapiert und zogen sich zurück.
Nur Liya war noch da. Er hatte seine Gefühle außerordentlich gut im Griff, glimmte nur noch sehr schwach irgendwo vor Liya und tat nichts. Wartete nur, was sie tun würde.
Er ist gut. Sehr gut.
Auch Liya hielt inne. Beruhigte ihren Puls und versuchte, jedes restliche Gefühl in sich auszuschalten. Je besser ihr das gelang, umso klarer konnte sie Li sehen und vorausahnen, was er als Nächstes tun würde. Sie machte es wie die Kalmare. Sie hatte oft beobachtet, wie sie sich bei der Jagd verhielten. Sie konnten stundenlang regungslos in schlafähnlichen Ruhepositionen verharren, schiere Ewigkeiten, bis ihre ganze Umgebung und jede Art von Beutetier sie vollkommen vergessen hatte. Um dann wie aus dem Nichts mit einer blitzartigen Bewegung zuzuschlagen. Genau so machte es Liya.
Ich bin ein Kalmar. Ich bin einer von ihnen.
Ihre Atmung war kaum spürbar, auf ein Minimum reduziert. Jetzt konnte sie Li sehr deutlich sehen und spürte sein Zögern als schwach gelbliche Aura um ihn herum. Er stand nur zwei Stocklängen vor ihr. Sie konnte seinen Atem hören und schätzte, dass sie ihn mit einem langen Schritt erreichen würde.
Unmerklich packte Liya ihren Stock fester und machte sich bereit zum Sprung. Der erste Schlag würde sitzen müssen. Li machte eine vorsichtige Bewegung zur Seite und hielt seinen Stock seitlich abgespreizt in der vierten Kampfposition. Eine wirkungsvolle, aber riskante Angriffshaltung, die seinen Schlagarm ungeschützt ließ.
Jetzt.
Liya spannte alle Muskeln an und sprang. Ihr Schlag war hart, landete aber etwas zu weit oben und traf Lis Oberarm, ohne ihm den Stock aus der Hand zu schleudern. Überrascht von Liyas Angriff, wirbelte Li von ihr weg außer Reichweite. Liya verfolgte ihn und schlug erneut zu. Diesmal aber war Li vorbereitet und wehrte den Schlag ab.
»Klack!« Er hatte sofort von Angriff auf Verteidigung umgeschaltet und achtete jetzt darauf, Liyas gezielte Schläge so lange zu parieren, bis er eine Schwäche in ihrer Deckung für einen Gegenschlag nutzen konnte. Liya schlug unerbittlich zu, aber Li war ein trainierter Kämpfer, den man nicht so leicht entwaffnete. Die beiden schenkten sich nichts, droschen so kräftig aufeinander ein, wie sie konnten. Ihr Keuchen und das Klacken ihrer Stöcke hallten über den ganzen Trainingsplatz und lockten die anderen Zhan Shi an, die neugierig zusahen, wie der beste Kämpfer ihres Jahrgangs versuchte, ein Mädchen zu verprügeln.
Und es nicht schaffte.
»Stopp!« Die Stimme des Gon Shi. Zhe schritt auf den Kampfplatz zu, einen Kampfstock in der linken Hand. Die jungen Zhan Shi, die den Kampf zwischen Liya und Li verfolgten, wichen ehrfürchtig auseinander, wie bei einem verbotenen Vergnügen erwischt. Nur Liya und Li hörten es nicht und droschen weiter mit den Stöcken aufeinander ein.
»Hört auf damit!«, befahl Zhe scharf und ging mit seinem Stock dazwischen. Mit zwei raschen, harten Schlägen entwaffnete er Liya und Li, dass ihre Stöcke in hohem Bogen durch die Luft wirbelten. Die beiden jugendlichen Kämpfer waren einen Moment perplex und wirkten, als kehrten sie aus einer anderen Welt zurück.
»Es ist genug«, erklärte Zhe und betrachtete Liya, die keuchend vor ihm stand. »Geh in deine Zelle und ruh dich aus.«
Ohne ein weiteres Wort gehorchte Liya, denn in dem Augenblick, als der Gon Shi den Kampf unterbrochen hatte, war der Schmerz zurückgekehrt und raubte ihr die letzte Kraft. Sie warf Li noch einen Blick zu und las ehrliche Anerkennung darin. Das reichte ihr. Sie wandte sich ab und schlurfte zu ihrer Zelle zurück. Langsam genug, um hinter sich noch zu hören, wie Zhe Li fragte: »Wie hat sie sich angestellt?«
Und Li antwortete: »Sie ist wirklich gut.«
Mit schlafwandlerischer Sicherheit fand Liya ihren Weg durch das unterirdische Labyrinth zurück in die ihr zugewiesene Zelle. Erschöpft warf sie sich auf die Pritsche und stöhnte laut auf. Ihr ganzer Körper war übersät mit blauen Flecken und rötlichen Abschürfungen und brannte höllisch vor Schmerz. Ihre Finger zitterten, sie fror und schwitzte gleichzeitig, sie fand keine bequeme Position auf der Pritsche und fühlte sich wie von einer ganzen Kalmarherde überrannt.
Sie fühlte sich großartig.
Nach diesem Kampf würde Zhe sie wie eine vollwertige Kriegerin behandeln müssen. Liya dachte an ihren Vater, an sein Gesicht, wenn er erfuhr, dass sie es gegen seinen Willen geschafft hatte, und schämte sich gleichzeitig für dieses
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