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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
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wieder. Aber sie hielt den Schwur und trug das Buch in einem ledernen Beutel fortan immer bei sich.
    Auch jetzt.
    Sie ritt bereits den dritten Tag mit Biao durch das breite Tal - der Weg, den sie von Anfang an hatte nehmen wollen -und noch immer wirkten die Steinernen Köpfe so fern wie zuvor. Liya konnte wegen der schwärenden Bisswunden der Gigamiten und der gebrochenen Rippe kaum reiten. Auch Biaos massiger Körper war übersät mit eiternden Wunden. Er ging noch langsamer als sonst, und die steilen Geröllfelder machten es ihm schwer, Tritt zu fassen. Aber Liya hatte es ohnehin nicht mehr eilig. Nicht nach allem, was sie in den letzten Tagen gesehen hatte.
    Nachdem sie den Gigamiten entkommen waren. Nachdem sie auf ihren Trupp gestoßen waren.
    Liya hatte sich sofort weiter auf Mingans Spur gesetzt und ihren Trupp tatsächlich bereits am nächsten Tag nach dem Gigamitenangriff erreicht. Die Mädchen waren alle tot. Naiyong, Yan, Gui, die traurige Duo. Und Yuanfen. Die schöne Yuanfen, ihre sanfte, freundliche, ein bisschen eifersüchtige Freundin. Ihre Körper lagen grotesk verdreht und zerschmettert in der Wüste verstreut. Der Steinwind hatte auch sie erwischt, gar nicht weit von der Stadt der Gigamiten entfernt. Ein furchtbarer Anblick. Und zwei Dinge waren seltsam:
    Zum einen fehlte Mingans Leiche. Liya suchte die ganze Umgebung ab, konnte sie aber nirgendwo finden, und es war unwahrscheinlich, dass der eiskalte Fallwind sie viel weiter als die anderen weggewirbelt hatte. Mingan war verschwunden.
    Zum anderen jedoch gab es noch mehr Tote. Die Kalmare hatte es ebenso erwischt. Das verwunderte Liya, denn sie hatte selbst erlebt, wie robust Kalmare gegen Steinwinde waren. Dennoch lagen die toten Kopffüßler neben den Mädchen verstreut im Wüstensand. Nur weil die Gigamiten ebenfalls durch den Steinwind umgekommen waren, lagen die Kadaver noch dort und waren nicht längst abgenagt und in Einzelteilen unter dem Wüstenboden verschwunden. Allerdings hatten erste Hyänengeier, Artverwandte der Feuerspucker, den Aasgeruch meilenweit gewittert. Unter lautem Geschrei und Flügelschlagen stürzten sie auf die kolossale Mahlzeit nieder, hackten die weiche Haut der toten Kalmare auf, zerfetzten sie mit riesigen scharfen Schnäbeln und zerrten wie rasend ihre Eingeweide heraus. Als Liya und Biao an der Stelle ankamen, stank es nach Blut und dem tranigen Geruch der Kalmare. Das Gefieder der Hyänengeier war bereits blutverschmiert, und im Blutrausch merkten sie nicht einmal, wie Liya sie mit dem Shi nacheinander abknallte.
    Dann war für einen Augenblick Ruhe. Die Welt schwieg, hielt den Atem an, als wäre alles gesagt.
    Dann hörte Liya Biao weinen. Ein lang gezogener jaulender Klagelaut entrang sich seinem Innern. Ein dumpfes Stöhnen, ein gurgelnder Schrei. Seine Haut nahm ein tiefes Dunkelblau mit fahlen Tupfern an - wie der Nachthimmel. Nie zuvor hatte Liya einen Kalmar weinen sehen. Aber ohne Zweifel beklagte Biao seine toten Artgenossen, und Liya hatte das Gefühl, dass diese Klage noch viel weiter weg gehört wurde, als allein der Schall sie tragen konnte.
    Biaos Klage war herzzerreißend und lang. Da mit weiteren Hyänengeiern zu rechnen war, musste Liya sich beeilen, die Mädchen und die Kalmare irgendwie zu bestatten. Allein konnte sie die Leichen aber nicht tief genug im Wüstenboden verscharren, also blieb nur verbrennen. Liya hatte keine andere Wahl, als die Mädchen und die Kalmare an einem Platz zusammenzulegen und mit dem mitgeführten Öl für die Nachtfeuer anzuzünden.
    Die Mädchen zu verbrennen, war die schwerste Aufgabe ihres Lebens. Vor allem Yuanfens Leiche zur Feuerstelle zu schleifen, war schier unerträglich. Alle Kraft verließ Liya, als sie in Yuanfens starres Gesicht blickte. Und nicht aufhören konnte zu weinen.
    Und nicht wegsehen konnte. Und die Schusswunde entdeckte.
    Es war nur eine kleine Stelle in der Brust, aber Liya erkannte die typische Risswunde sofort, die der Eisdorn eines Shi hinterließ. Da der Eisdorn bald im Leib schmolz, blieb nichts weiter zurück als dieser kleine Riss. Wenn der eiskalte Steinwind die Leichen der Mädchen nicht für Stunden konserviert und so vor den Gigamiten und Hyänengeiern bewahrt hätte, hätte Liya auch diese unscheinbare Wunde niemals entdeckt. Dann wären die Mädchen als ein paar weitere von unzähligen Opfern der Wüste in die Erinnerung der Ori eingegangen.
    So aber war es Mord.
    Eilig untersuchte Liya die anderen Mädchen und entdeckte die

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