Pangea - Der achte Tag
Verzweiflung lähmte ihn. Die nächste, ebenso eisige Nacht überlebte er nur, weil die technisch hoch entwickelte Thermokleidung der Sari ihn schützte. Dennoch fror er wie nie zuvor in seinem Leben, bekam das Zittern kaum noch unter Kontrolle. Um sich zu bewegen und etwas abzulenken, schürfte er mit bloßen Händen im Geröll, in der Hoffnung, auf Wasser zu stoßen. Seine Stimmung wechselte zwischen kompletter Verzweiflung und rasendem Tatendrang. Nicht gut, dachte er irgendwann. Nicht gut.
Allmählich wurde ihm klar, dass er zwei Möglichkeiten hatte: Er konnte entweder verrückt sterben oder bei klarem Verstand. Die Entscheidung fiel ihm nicht schwer. Also beschloss er am zweiten Tag, wieder weiterzumarschieren. Nicht weil er ein Ziel hatte oder auf Rettung hoffte, sondern nur um irgendetwas zu tun. Die Richtung spielte keine große Rolle. Hauptsache, in Bewegung sein. Bewegung hieß Leben.
Tagsüber brannte die Sonne mit fast 50 Grad auf ihn herab, trotz der Höhe. Nachts stürzten die Temperaturen unter den Gefrierpunkt ab. Die extremen Temperaturschwankungen spalteten sogar den Fels. Die Nacht war erfüllt vom Knacken, Knirschen und Krachen der berstenden Steine ringsum. Sariel wunderte sich, dass es ihm nicht ähnlich ging.
Aber er überlebte auch die nächste Nacht und stolperte weiter. Da er immer noch weder Wasser noch Nahrung gefunden hatte, hielt ihn nur der Nglirr am Leben. Aber lange würde sein Vorrat nicht mehr reichen. Der Nglirr war hoch konzentriert, hätte also mit Wasser verdünnt werden müssen, um für viele Wochen zu reichen. Ohne Wasser schmolz sein Nahrungsvorrat rapide dahin.
Wegen der Hitze entschied sich Sariel zunächst dafür, nachts zu laufen und die Tage im Schatten eines Felsens zu überstehen. Doch die mondlosen Nächte waren so finster, so unerbittlich dunkel, dass er keine zehn Schritte weit kam, ohne hinzufallen. Zum ersten Mal in seinem Leben bekam Sariel eine Ahnung, woher der Ausdruck pechschwarze Nacht stammte. Sariel fiel über jeden Stein, stolperte über die kleinste Unebenheit, und er musste fürchten, sich beim nächsten Sturz die Knochen zu brechen. Das wäre dann wirklich das Ende gewesen. Also blieb ihm keine andere Wahl, als tagsüber zu gehen und nachts irgendwie zu schlafen.
Als wenn das so einfach gewesen wäre. Trotz seiner völligen Erschöpfung schreckte Sariel alle paar Minuten aus dem Schlaf hoch, weil er Geräusche hörte oder träumte. Mehr als einmal glaubte er Tierlaute zu hören. Dabei hatte er noch kein einziges Tier gesehen. Überhaupt kein einziges Lebewesen. Nicht einmal irgendwelche Flechten oder Moose auf den Felsen. Als hätte jemand mit einem Schalter sämtliches Leben ausgelöscht und ihn zurückgelassen, um ihn zu verspotten.
Dennoch wuchs in ihm die Überzeugung, dass es auch hier irgendwo Tiere geben musste. Was ihn allerdings kaum beruhigte, denn die nächtlichen Laute hatten nicht so geklungen, dass er Lust bekam, dem entsprechenden Tier zu begegnen. Obwohl Jagen seine Überlebenschancen sicher verbessert hätte. Jagen gehörte auch zu den Dingen, von denen Sariel annahm, dass er sie nun beherrschte. Die Lehrträume hatten ihn zum Kämpfer ausgebildet. Er fühlte es. Ihn, den kleinen Huan. Huan, den Schwachen. Huan, den immer Höflichen. Huan, der nicht einmal Christoph Glasing die Fresse polieren konnte. Ausgerechnet er war zum Krieger und Jäger geworden, ohne eine einzige Trainingsstunde absolviert zu haben.
Sariel setzte sich auf einen Felsen und überprüfte seinen Nglirr-Vorrat. Bereits zum dritten Mal in einer Stunde. Wenn man nichts anderes fand, prüfte man immer wieder das, was man besaß.
Du kannst alles haben. Du bist der Sariel, hatte Eyla gesagt. Jetzt leckte er sich ein Tröpfchen Nglirr von der Fingerkuppe, nur um wieder schlucken zu können und einmal laut »Scheiße!« in die Wildnis zu brüllen.
Du bist ein Gott, hatte Eyla gesagt. Aber irgendjemand hatte versucht, diesen Gott zu töten. Und wer immer das auch war, er würde kommen, um sich vom Erfolg seines Attentats zu überzeugen. Die Frage war nur, wer? Kein Sari konnte die Stadt verlassen, ohne zu sterben.
Sariel packte den restlichen Nglirr zurück in den Rucksack. Das Gewicht auf seinen Schultern erinnerte ihn bei jedem Schritt daran, dass er immer noch die Zeitmaschine bei sich hatte. Die Bombe. Sie war nicht allzu schwer, kaum drei Kilogramm. Kein Problem, sie zu tragen. Eine Stunde oder zwei. Aber nach drei Tagen schmerzten ihm die Schultern. Er
Weitere Kostenlose Bücher