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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
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Wasservorräte mitgenommen. Liya hatte nur noch das restliche Wasser aus dem Gigamitenbau und mit dem musste sie sparsam umgehen. Daher konnte sie nur die größten und schlimmsten Wunden mit einem feuchten Tuch abtupfen. In Yuanfens Packtasche fanden sich auch ein paar Phiolen mit verschiedenen Flüssigkeiten. Liya schnupperte an allen, aber keine schien sich zum Desinfizieren zu eignen, und Liya wollte es nicht auf einen Versuch ankommen lassen.
    Biao sah nicht viel besser aus. Er war über und über mit Gigamitenbissen übersät, aber sein Körper produzierte immerhin ein heilendes Sekret. Eine Art Superwundsekret, das leider nur bei Kalmarhaut wirkte. Menschliche Haut reagierte darauf stark allergisch und löste sich teilweise einfach ab. Mensch und Kalmar verband offenbar nur eines: Beide ernährten sich von Mondtränen.
    Während Biao sich von Tag zu Tag mehr erholte, ging es Liya zunehmend schlechter. Seit der vergangenen Nacht litt sie an heftigen Schweißausbrüchen und Fieberschüben, die sie auch in der kochenden Hitze immer wieder frösteln ließen. Trotzdem erlag sie nicht der Versuchung, den Kyrrschal abzulegen. Zu groß war die Gefahr, sich auf der Stelle die Haut zu verbrennen und einem Hitzschlag zu erliegen. Mehrere Male war sie in den vergangenen Stunden ohnmächtig geworden und wäre vermutlich von Biao heruntergefallen wie überreifes Obst, wenn sie ihre Beine nicht vorsorglich am Sattel festgebunden hätte.
    Dabei lag die Heilung zum Greifen nah in Yuanfens Beutel. Liya hatte viel über Heilkunst von ihrer Mutter gelernt. Aber alles hatte sie sich nicht merken können. Nur ein Mittel fiel ihr ein, das ihr auf der Stelle helfen würde. Liya schauderte schon bei dem Gedanken daran. Bislang hatte sie noch gehofft, dass es ohne ginge, doch dann waren die Fieberschübe gekommen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ihre einzige Rettung waren - Kratzkäfer!
    Kratzkäfer. Groß. Schwarz. Eklig. Aber sie vertilgten Bakterien. An Wunden angelegt, fraßen sie sie regelrecht auf. Der Haken an der Sache war: Man brauchte mehrere Käfer für eine Wunde. Bei Liyas zahlreichen Verletzungen würde ihr nichts übrig bleiben, als ihren Körper einem ganzen Nest von Kratzkäfern auszusetzen. Der zweite Haken war: Zwar fraßen die Käfer die Wunden sauber, aber sie hinterließen einen gefürchteten Juckreiz, der über zwei Tage anhalten konnte. Liya erinnerte sich an einen Mann auf einer ihrer Karawanenreisen, der sich nach der zunächst erfolgreichen Wundbehandlung mit Kratzkäfern die halbe Haut aufgekratzt hatte und an diesen Verletzungen fast gestorben wäre. Liya hatte die Wahl zwischen Fieber und Juckreiz.
    Jemand müsste mich fesseln, dachte sie. Aber ein Kalmar war dazu nicht in der Lage. Trotzdem: Wenn das Fieber anhielt, würde sie sicher sterben. Damit war die Entscheidung klar. An den dritten Haken an der Sache dachte sie im Augenblick lieber noch nicht: wie sie die Kratzkäfer wieder vom Körper entfernen sollte, wenn die sich einmal festgefressen hatten.
    Für einen Moment sah sie Li vor sich. Sie vermisste ihn und bedauerte, dass sie ihn nicht geküsst hatte. Einfach so. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Vielleicht aber auch nicht. Das Schicksal hatte sie getrennt, und Liya erwartete kaum noch, ihn jemals wiederzusehen.
    Biao hielt an. So weit Liya erkennen konnte, hatte er einen guten Platz ausgesucht, einen Felsvorsprung, der einen sicheren Schutz vor Steinschlag oder Fallwinden bot. Immer noch zitternd löste sie die Fesseln, die sie an Biao festbanden, und ließ sich von einem Tentakel behutsam absetzen. Anschließend zog sie sich komplett aus und verstaute die Kleidung samt Kyrrschal in der Tasche.
    »Es wird schlimm werden, Dicker«, bereitete sie Biao vor. »Am besten, du schaust nicht hin.«
    Biao bedeutete ihr durch ein warmes Orange, dass er längst verstanden hatte.
    Es war nicht schwer, Kratzkäfer anzulocken. Alles nur eine Frage der Überwindung. Liya ließ sich auf die Knie fallen und begann, langsam in der steinigen, trockenen Erde zu graben. Biao begriff. Mit seinen kräftigen und geschickten Fangtentakeln scharrte er eine tiefe Furche in den Boden, breit genug, dass Liya sich hineinlegen konnte. Genau so, wie es die Menschen lange vor der wiedergeborenen Neuzeit mit ihren Toten gemacht hatten.
    Dann schloss sie die Augen und wartete ab, bis sie das typische Kratzen hörte, dem die Käfer ihren Namen verdankten. Angelockt von dem feinen Geruch Liyas eiternder Wunden schabten

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