Pangea - Der achte Tag
sich die Käfer durch die Erde hinauf an die Oberfläche. Es war erstaunlich, auf welche Entfernungen Kratzkäfer den Geruch von Blut und Sekreten wahrnahmen.
Liya zuckte zusammen, als der erste Käfer zwischen ihren Zehen krabbelte. Am liebsten wäre sie schreiend aufgesprungen. Aber sie musste liegen bleiben. Nur diese Viecher brachten Heilung vom Fieber.
Sie kamen zu Hunderten. Liya spürte, wie sie direkt unter ihrem Körper aus der Erde auftauchten, neben ihrem Kopf, ihre Beine erklommen, die Arme, auf ihren Brüsten entlangkrabbelten, über den Bauchnabel, sich aber zielgerichtet sofort über die Wunden hermachten. Nur die ersten Bisse waren schmerzhaft. Der Speichel der Kratzkäfer hatte eine betäubende Wirkung. Genau dieser Speichel war es aber auch, der den Juckreiz hervorrief.
Liya bemühte sich, ruhig zu atmen, begann, ein Lied zu summen. Sechs Strophen hatte sie sich vorgenommen, sechs lange Strophen. So viel Zeit benötigten die Kratzkäfer, um ihre Wunden von den Bakterien zu befreien.
Liya sang.
Ihre Haut begann schon zu jucken.
Sie sang.
Die Kratzkäfer hatten sie nun komplett bedeckt.
Liya sang.
Das Lied diente nicht nur als Zeitmaß. Liya sang sich auch in Trance. Ein Zustand, in dem die widerlichen Kratz- und Schmatzgeräusche der Käfer sie nicht mehr erreichten, ein diffuses Nirgendwo, in dem sie das alles aushalten konnte. In dem Trancezustand löste sich Liya von ihrem Körper, erhob sich aus der Kuhle, schwebend und körperlos, wurde eins mit der Luft, die sie umgab. Ewig hätte Liya so verharren können.
Für immer frei.
Aber sie wusste, je eher sie die Käfer loswurde, desto weniger des juckenden Sekrets nahm ihre Haut auf. Also begann Liya, sich in ihrer engen Sandkuhle hin und her zu wälzen, um die Käfer abzustreifen und abzuschütteln. Aber die Käfer waren noch nicht satt und hatten nicht vor, sich so schnell zu verabschieden. So sehr sich Liya auch im Sand wälzte, gelang es ihr nicht, mehr als ein paar Dutzend Käfer loszuwerden, die sich dann sofort wieder auf die Suche nach einer neuen Stelle machten. Verzweifelt sprang Liya auf, zupfte die Käfer mit der Hand ab und schleuderte sie weit weg. Damit hatte sie mehr Erfolg, aber das Abzupfen war schmerzhaft, und es waren immerhin einige Hundert Käfer, die immer noch ihren ganzen Körper bedeckten. Wenn sie die Käfer nicht sehr bald vollständig von ihrem Körper entfernte, würde der Juckreiz sie eher umbringen als das Fieber.
Liya begann zu schreien.
Sariel glühten die Füße und sein Rücken schmerzte unter der Last des Rucksacks mit der Zeitbombe. Die zwei Stunden, in denen er dem gigantischen Oktopus bereits hinterhertrottete, kamen ihm vor wie ein ganzer Tag. Zwei Stunden, in denen sich allmählich die Erkenntnis verfestigte, dass er es nicht schaffen würde.
Die Aufgabe. Zurückzukehren nach Hause.
Sariel hielt an, um sich ein paar Tropfen Nglirr-Konzentrat zu gönnen. Der Kalmar blieb ebenfalls stehen und schien Sariel neugierig zu betrachten. Das Rosa seiner Haut war einem schmutzigen Grüngrau gewichen.
»Ich brauche Wasser, hörst du? Wasser!« Um seinen Wunsch zu verdeutlichen, machte Sariel Gesten, die Trinken bedeuteten. Der Kalmar blickte ihn nur unverwandt an.
»Okay, vergiss es!«
Sariel richtete sich matt auf. Doch da zeigte der Kalmar eine Reaktion. Einer der vorderen Tentakel, die er eher zum Greifen als zum Gehen benutzte, schnellte vor, packte Sariel und wirbelte ihn durch die Luft. Sariel schrie auf, versuchte, sich zu wehren, doch das riesige Tier hob ihn unbeeindruckt und mühelos empor und setzte ihn vor sich wieder ab.
Damit war das Spiel jedoch noch nicht zu Ende. Kaum stand Sariel wieder auf eigenen Füßen, stupste ihn der Tentakel erneut an, dass Sariel den Halt verlor und hinfiel. Panisch griff er nach dem Rucksack, aus Angst, die Zeitbombe könnte beschädigt werden und unversehens hochgehen. Kaum hatte er sich jedoch wieder aufgerappelt, stieß der Tentakel ihn wieder um.
»Verdammt, was soll das? Was willst du von mir?«
Sariel stolperte einige Schritte rückwärts und fiel wieder hin. Der Tentakel folgte ihm unbeirrt, schubste ihn herum wie ... eine Katze, die mit einer Maus spielt! Festhalten, laufen lassen, einfangen, laufen lassen. Genau so hatte es der rote Kater auch mit den unglücklichen Mäusen gemacht, die er hin und wieder zu fangen kriegte. So lange, bis er irgendwann genug von dem Spiel gehabt und die Maus mit einem scharfen Genickbiss getötet hatte.
Alles nur
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