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Panic

Panic

Titel: Panic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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den Wald bricht, der stelle sich vor, wie die Stürmer beim Football mit voller Wucht gegeneinander prallen, und denke sich dasselbe Getöse mitten im stillen Wald.
    Es dauerte volle fünf Minuten, bis wir in der Lage waren weiterzugehen. Und weitere fünf Minuten, bis das Adrenalin in meinem Blut wieder verflogen war. Es ging uns allen gleich auf diesem letzten Teil der Wanderung: Nachdem stundenlang der Druck auf uns gelastet hatte, echt oder eingebildet, nichts anderes zu sein als Spielbälle, Beutetiere, waren wir mit den Nerven völlig herunter.
    Plötzlich, als selbst ich schon dachte, es sei vielleicht besser, wieder umzukehren, tat sich eine Lichtung auf. Cantrell winkte uns hinter einen großen Felsblock. Er holte sein Fernglas hervor und suchte die Lichtung ab. Nach einer Weile flüsterte er mir zu, ich solle hier bleiben und die Lichtung im Auge behalten, während er, Arnie und Griff zum Funkgerät gingen. Ich wollte ihm gerade widersprechen, besann mich aber; schließlich hatte ich mich als Spurenexpertin geoutet. Jetzt würde ich die Rolle auch spielen.
    Sie gingen am Rand der Lichtung bis zur Rückseite eines der Nebengebäude. Der Wind, aus nördlicher Richtung, blies mir direkt ins Gesicht. Aus zusammengekniffenen Augen sah ich, wie sie an der Südseite des Gebäudes entlangschlichen, wo sehr wenig Schnee lag.
    Arnie duckte sich hinter Cantrell. Sogar aus hundertfünfzig Metern Entfernung sah ich, dass das Gewehr des Kinderarztes zitterte, als der Pächter die Pistole zog, kurz zögerte und auf die Wellblechbaracke zustürzte, nur um im aufgeworfenen Schnee stecken zu bleiben. Er schwankte, fing sich aber und schaffte es bis zur Veranda. Griff folgte ihm. Arnie kam als Letzter. Einen Moment lang standen sie unentschlossen vor der Tür, dann verschwanden sie im Innern. Ich blieb allein zurück.
    Einsamkeit kann stärken oder entmutigen. Für meine Eltern galt Ersteres, sie tankten stets neue Kraft im Wald. Ich dagegen fühlte mich von der eigenen Machtlosigkeit überwältigt, als ich hinter dem Felsen im Schnee kauerte. Ich wurde das überwältigende Gefühl nicht los, dass hier etwas nicht stimmte. Immer wieder sah ich hinter und über mich, versuchte, jede Richtung im Blick zu behalten. Doch dann zwang ich mich, es sein zu lassen. Was hätte es für einen Sinn, wenn ich mich aufregte? Der Tod komme aus jeder Ecke des Kompasses, sagte mein Vater; überleben könne nur, wer in der Mitte blieb und Ruhe bewahrte.
    Die Tür der Wellblechhütte flog krachend auf.
    Arnie sprang blindlings von der Veranda in den Schnee, geriet ins Stolpern, rappelte sich hoch und stolperte erneut. Ich richtete das Gewehr auf Arnie, dann auf die Tür, dann wieder auf Arnie. Feiner Schnee hing ihm in den Augenbrauen und um die Nase. Sein Mund, vom nassen Schnee gerötet, stand weit offen. Er versuchte zu schreien, brachte aber keinen Ton heraus.
    Ich sprang auf und rannte los, versuchte albernerweise, im Zickzackkurs über die Lichtung zu laufen. Doch nach fünfzig Metern durch den weißen Treibsand konnte ich nur noch geradeaus stapfen, exponiert, verwundbar. Als ich die Wellblechhütte erreichte, hatte Arnie sich neben den Geräteschuppen geschleppt, an dessen Wand er kauernd Deckung suchte.
    Langsam stieg ich die Vordertreppe hinauf und betrat den dämmrigen Innenraum, die Waffe im Anschlag. Hier war es kälter als draußen. Der Atem puffte in Wölkchen aus Griff und Cantrell heraus, schwebte auf und verschwand in den Dachsparren. Der Pächter hockte auf einer kaputten Couch. Seine Augen waren geschlossen. Die Pistole lag neben ihm. Griff saß auf dem Boden, mit dem Rücken zur Wand, den Kopf zwischen den Händen.
    Da war noch ein dritter Mann im Raum, einer mit fleckigem grauen Bart, der mich aus offenen, verschleierten Augen anstarrte. Er kauerte in der hinteren Ecke auf den Fersen und hielt den gefiederten Schaft eines Zedernpfeils umklammert, der ihm aus der Kehle ragte. Die Spitze hatte ihm den Hals durchbohrt und steckte in der Wand. Reif überzog seine Haut. Färbte sie völlig weiß. Bis auf die trübroten gefrorenen Rinnsale, die ihm aus den Mundwinkeln liefen.
    Ich war außerstande, meinen Blick von dem Toten zu lösen, außerstande, auch nur zu erschauern. Vermutlich ist dies das Grauen, mit dem wir alle irgendwann konfrontiert werden. Mit etwas Glück geschieht das erst, wenn es uns nichts mehr ausmacht. Was mich mehr ängstigte als der Tote, war die Tatsache, dass ich nicht annähernd so entsetzt reagierte wie

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