Panik: Thriller (German Edition)
Chefpathologen der Polizei, eine blonde Bohnenstange in einem weißen Schutzanzug, der die beiden ähnlich gekleideten Assistenten an seiner Seite um einiges überragte. Trotz der Schutzmaske konnte Murdoch erkennen, dass er noch sorgenvoller dreinblickte als sonst. Jorgensen bemerkte Murdoch und hob den Kopf, wobei sich das grelle Halogenlicht in seinem Visier spiegelte.
» Gut, dass du da bist, Alan«, sagte er. Seine Stimme wurde durch den Anzug gedämpft. Als Murdoch näher kam, scheuchte er seine Assistenten mit einer Handbewegung beiseite. » Das darfst du nicht verpassen.«
» Was verpassen?«, fragte Murdoch. » Und wieso die Anzüge? Terroristen?«
Der Pathologe hatte den Schutzanzug zum letzten Mal getragen, als die Antiterroreinheit drei Dschihadisten eingeliefert hatte, die sich selbst mit dem Rizin vergiftet hatten, das sie ursprünglich in der U-Bahn hatten einsetzen wollen.
» Nicht ganz.« Jorgensen schüttelte den Kopf. » Das hier ist… etwas anderes. Ich kann es dir nicht genau erklären.«
Murdochs Puls beschleunigte sich. Jorgensen konnte man nur schwer Angst einjagen. Murdoch hatte miterlebt, wie der Pathologe Leichen in allen Formen und Größen aufgeschnitten hatte– Kinder und Erwachsene, Männer und Frauen, verbrannte, ertrunkene, erschlagene, erstochene, verhungerte, gehäutete, angefressene, geköpfte und ausgeweidete Körper. Er hatte so ziemlich jede Todesart gesehen, die man sich nur vorstellen konnte, und dabei nicht mal mit der Wimper gezuckt. Doch diesmal wirkte er tief erschüttert, und Murdoch wusste: Nicht der enge Schutzanzug war der Grund dafür, dass Jorgensen kreideweiß im Gesicht war und ihm der Schweiß auf der Stirn stand.
» Tut mir leid, dass ich dich so spät noch rufen musste«, fuhr Jorgensen fort. » Aber das muss ich dir unbedingt zeigen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir noch haben.«
» Was?«, fragte Murdoch. » Weshalb?«
» Ich musste den MI -5 verständigen«, sagte Jorgensen und fuhr mit der behandschuhten Hand über seinen Anzug. » Das hier ist etwas vollkommen Neues.«
» Den Inlandsgeheimdienst?«, fragte Murdoch und hob eine Augenbraue. » Wieso?«
» Das wirst du gleich sehen.« Jorgensen verstummte, und Murdoch begriff, dass dieser Mann das Leichenschauhaus am liebsten nicht noch einmal betreten würde. Auch ihm brach der Schweiß aus, und es lief ihm kalt den Rücken herunter. Jorgensen, der nicht arbeiten wollte? Das war in etwa so, als würde ein Kind nicht spielen wollen. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Plötzlich erwachte der Mann aus seiner Trance und richtete die geröteten Augen auf die Tür. » Du musst dir eine Maske aufsetzen.«
Murdoch starrte den Pathologen noch eine Weile an, dann drehte er sich um und ging zu den Blechspinden an der gegenüberliegenden Wand des Warteraums. Der Spind mit der Aufschrift » SCHUTZKLEIDUNG « stand bereits offen. Ganz unten entdeckte er noch einige Vollgesichtsschutzmasken. Er stülpte sich eine davon über den Kopf, schaltete sie ein und überprüfte, ob die Gummiversiegelung eng um seinen Hals lag. Er hasste diese Dinger. Es war, als würde man mit den Lungen eines Toten atmen. Aber immer noch besser, als das Zeug aus dem Leichenschauhaus zu inhalieren, vor dem Jorgensen so viel Angst hatte.
» Da entlang«, sagte Jorgensen, als ob Murdoch nicht schon Hunderte Male hier gewesen wäre. Ein Assistent hielt ihnen die Tür auf, und Murdoch folgte Jorgensen aus dem Warteraum und am Sichtfenster vorbei, vor dem üblicherweise die Angehörigen standen, um die Überreste derjenigen zu identifizieren, die sie einst Mutter, Tochter oder Bruder genannt hatten. Der Haupteingang zum Leichenschauhaus befand sich ein paar Schritte weiter den Gang hinunter. Dort hatten sich weitere weiß gekleidete Angestellte versammelt. Einer hielt ihnen die Tür auf.
» Alles unverändert, Sir«, sagte eine Frau. Sie musste brüllen, um sich über das Rumpeln der Klimaanlagen verständlich zu machen, die aufgrund der Hitze auf Hochbetrieb liefen. Selbst hier, tief unter der Erde, spürte Murdoch die Wärme. Seine Haut begann zu jucken.
Jorgensen nickte ihr zu und führte ihn durch einen großen Raum in einen Bereich, der durch Wandschirme abgetrennt war, wie sie auch in Krankenhäusern zum Einsatz kamen. Er blieb kurz davor stehen.
» Alan, das alles hier ist topsecret, verstanden?«, sagte er. » Solange wir nicht wissen, womit wir es zu tun haben, darf niemand davon erfahren. Ich habe dich nur
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