Panter, Tiger und andere
andres sehen als Geschäft, und deren Kinne zeigen, wie man lebt, und deren Lippen, wie man leben läßt; die Viechskerle von Soldaten, Bulldoggen und Sergeanten des kaiserlichen Heeres; Herren und Generäle; einen bezaubernden, immer wiederkehrenden Typus eines Waschlappens: Demokraten mit Pelerine, Umhängebart, Schlapphut, Regenschirm und der jeweils nötigen Überzeugung; Studentenschnösel und Klassenmediziner – und der Letzte, nicht der Beste: Erich Ludendorff-Lindström. (Grosz hat sich liebevoll in dieses Gesicht versenkt – es ist dem Gesicht nicht gut bekommen. Aber Vater Hindenburg ist auch nicht ohne.)
Und all das ist von neuer Formulierung. Ob Grosz der erste war, weiß ich nicht. Er muß Väter gehabt haben: Primitive, die ersten Expressionisten, Alle, die aus der Haut und aus der Samtjacke fuhren und die Malerei wieder den geistigen Künsten zuführen wollten. Aber er ist doch der Erste von ihnen Allen.
Und alle Blätter – die man bald bestellen möge, bevor sich eine deutsche Strafkammer mit einem Beschlagnahmebeschluß vor ihnen blamiert – rufen uns jene Zeit ins Gedächtnis, wo Alles zusammenzubrechen schien und Alles blieb; wo so viel verpaßt wurde und so viel geschont; die uns dreihundert oppositionelle Führer kostete und Mörder: Exekutive, Militär und Richter am Leben ließ. Guten Abend, deutsche Revolution!
Der Hakenkreuzgastwirt, der Wenn-und-aber-Demokrat, der verhetzte Student, der gefügige Staatsanwalt, der grauenhafte sture Kleinbauer – sie werden das Heft nie zu sehen bekommen, weil bei uns ja alle nebeneinander leben und zumal unbequeme geistige Regungen gern unbeachtet bleiben. Was nützt Groszens Pazifismus und all Das? Ungestört singen die Kindergärtnerinnen ihr: »Ja, mit Herz und Hand …«; ungestört lehren wildgewordene Oberlehrer ehrwürdige Geschichtslügen; ungestört toben Justiz und Universität. Vom Kapital zu schweigen. Und wohin du blickst: Fratzen von Grosz. All diese Gesichter kann man auch zum Sitzen benutzen.
Wir aber wollen in dies Bilderbuch sehen und jener Jungfrau Germania gedenken, die mit jedem Offizier – bis zum Feldwebel abwärts – gehurt hat. Und sprechen: »So siehst du aus!«
1921
Alfred Kerr
Nu schicken alle Bäcker Kuchen
nach Ihrem Haus in’n Jrunewald.
Schohspieler kommen Sie besuchen
von wegen hmzig Jahre alt.
Ich schieb mir leise mit se ran,
mit Orska und Herrn Sudermann,
und ruf aus der pariser Ferne:
»Ick kann mir nich helfen – ick hab Ihnen jerne –!«
Sie haben, als wir angefangen,
uns doch das Laufen beigebracht.
Ick bin nich imma mitjejangen –
zum Beispiel: bei die Russenschlacht…
Doch einen, der die Sprache packt,
und nie Bolljong – und stets Extrakt –
des such dir man mit die Lanterne:
Ick kann mir nich helfen – ick hab Ihnen jerne.
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Musik! Musik vor allen Dingen!
Sie heben eine schmale Hand
und lassen Aetherwellen klingen
und spielen den Dichter an die Wand.
Sie zogen manchem stramm die Hosen
bei uns und in den USA,
und trugen ein Florett in Rosen;
es pfeift Ihr Nein, es ehrt Ihr Ja.
Sie haben unsere Tränen geweint,
Ihr Lachen hat uns alle vereint.
Sie sehen die Erde
und die Sterne –:
Ick kann mir nich helfen – ick hab Ihnen jerne.
1927
Maximilian Harden
Maximilian Harden ist tot. Es ziemt sich, auf das Grab dieses großen Schriftstellers einen Kranz zu legen. Aus welchen Blumen –?
S. J. pflegte, wenn von Harden die Rede war, zu sagen: »Dem schreibe ich einmal meinen schönsten Nekrolog -!« Er hätte es getan; denn er kannte ihn nicht nur ganz, sondern er hatte auch die so seltene Gabe, einem Toten nachrufend ein Leben zu rekonstruieren und eine Figur auf ihre platonische Idee zurückzuführen. Diesen Nekrolog nun hat er nicht schreiben dürfen. Ich glaube, dass wir damit eine der besten Charakteristiken Maximilian Hardens verloren haben – niemand hat das Zwiespältige, das in diesem Essayisten war, so gut erkannt wie sein Freundfeind S. J. Aus welchen Blumen sei der Kranz –?
Es wird bei fünfzigsten und sechzigsten Geburtstagen so viel zusammengelogen, dass wir angesichts eines Todes aussagenwollen, als gäbe es keinen Schmerz. Also die Wahrheit.
Harden ganz zu begreifen und abzuschildern vermag nur der, der mit ihm groß geworden ist. Er ragte in unsre Generation hinein wie ein Turm: ein historisches Bauwerk. Das Mordattentat, das deutsche Offiziere auf ihn verübt hatten, war nicht der Grund seines letzten Schweigens – es war der Anlaß. Er
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