Panter, Tiger und andere
–: ich habe jedesmal wieder diesen kleinen Schauer der Ehrfurcht gehabt, wenn ich mit ihm sprechen durfte. Das war jemand.
Das war einer, der die Unterhaltung wie eine Florettklinge führte – seine Ähnlichkeit mit Josef Kainz war nicht nur äußerlich. Er sprach nicht so schnell, nicht mit jenem Furor der Rede – er dachte, wie Kainz sprach; aber er sprach langsam, überlegt, die Pointen liefen haardünn aus, oben blitzte das Licht und ein Tröpfchen Gift, wenn er wollte. Es kitzelte, tat kaum weh – erst zu Hause merkten die Opfer, dass sie tödlich getroffen waren. Er liebte es, in ernste Gespräche bewußt grobe Berlinismen zu flechten; sie wirkten in seinem Munde niemals roh, er veredelte noch die derbsten Wörter, es war etwas sehr Seltsames. Einen Eindruck aber wurde man niemals los, wenn man mit ihm sprach – und ich besinne mich noch genau, wie erschütternd das besonders in der Inflation gewirkt hat: er war ein Europäer. Verknüpft mit allen Ländern dieses Kontinents, geistig verwandt mit den Geistigen, die sie leiteten – er bewegte sich mühelos unter ihnen, war kein Geduldeter, kein geschmeicheltes Schreiberchen, das von der Atmosphäre in Genf schon beschimpft wurde – ein Gleichberechtigter unter Gleichen, so lebte er dahin.
Und das wußten sie. Harden hat unter allen deutschen Journalisten das größte Echo im Ausland gehabt – er gehörte zu ihnen, sie fühlten das, hier war eine Brücke zu dem sonst unzugänglichen Deutschland. Sie glaubten ihm; sie verstanden die Methodik seines Denkens, seine Dialektik, seine Bildungselemente – er war ihnen vertraut. Nie hat das einer genützt. »Ein Zeitungsschreiber…« hieß es bei den Kaiserlichen. »Ein Außenseiter…« bei den Republikanern. Er verachtete beide.
Wenn der Schriftsteller packte, dann packte er mit Zangen. Unvergeßlich ist mir der Jugendeindruck, den ich bei der Lektüre seines Artikels über den sadistischen Erzieher Dippold empfing. Der hatte einen Jungen des Bankdirektors Koch zu Tode gequält – und wie Harden die Herren Eltern hernahm, wie er sie öffentlich auspeitschte, weil sie aus Unachtsamkeit, aus Lässigkeit, aus Faulheit ein junges Leben hatten zerstören lassen… das erinnerte an die besten Pamphlete aller Literaturen. »Jede Proletarierfrau«, so stand da ungefähr, »wäre auf einen Notschrei ihres Kindes sofort zum Tatort gefahren. Frau Rosalie Koch schrieb einen Brief.« Mene mene tekel – so ein Satz stand wie ein Flammenzeichen am dunkeln Himmel der Bourgeois. Was bleibt davon –?
Es bleibt immer viel weniger als man glaubt. Die Geschichtsfälscher sind schon an der Arbeit, und die emsigen Handlanger des Herrn Eulenburg schreiben ein wackres Buch nach dem andern; welcher Historiker wird die Warnungsrufe Maximilian Hardens nachschlagen; seine Prophezeiungen (Frühjahr 1914: »In diesem Sommer wird Schicksal«) – wütenden Angriffe, seine Hiebe und seine Attacken?
Moritz Heimann hat einmal von Maximilian Harden gesagt: »Er lügt nicht. Er ist eine Lüge.« Hart: wenn es ein ethisch vernichtendes Urteil ist. Wahr: wenn es den Schein meint, der dieser Mann war, eine Zwiebel, deren Blätter du abstreifen konntest, immer wieder neue Blätter, immer wieder – und was kam dann? Dann kam nichts. Er ist nie weise geworden wie etwa der alte Clemenceau, dessen Lebenserfahrungen zum Schluß eine Art Extrakt ergeben haben. Maximilian Harden ist nicht alt geworden – er war, als er starb, nicht mehr jung.
Mit ihm ist ein Typus dahingegangen, der für die nächsten fünfzig Jahre kaum wiederkehren wird: ein Einzelgänger von Format und Einfluß. Er hat in den letzten Jahren seines Lebens wiederholt davon gesprochen, die »Zukunft« wieder aufleben zu lassen – ich glaube nicht, dass diese Gattung Zeitschrift in Mitteleuropa heute möglich und wünschenswert ist. Denn es kommt nicht mehr darauf an, die Welt originell, isoliert, ganz von oben zu sehen – gegen alle zu sein und fern von allen –: sondern es kommt darauf an, bei der Masse zu bleiben, mit ihr zu sein – als Führer oder Widersacher oder Aristokrat oder Mönch – aber bei der Masse. Die Zeitschrift, in der es Einer »allen aber gehörig sagen kann«, ist eine gute Sache; die Tat, die man mit allen und für alle tun kann, eine bessere.
Eine »Zukunft« ist Vergangenheit geworden. Ihrem Schöpfer gebührt, als einem Gulliver unter Pygmäen, die Ehre, die die mittlern Beamten der Journalistik und der Politik ihm nur formal und aufatmend
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