Papa ante Palma
handgenäht, und Süßigkeiten. Grund genug für Luna, ihre Ressentiments über Bord zu werfen.
Danach zeige ich Lucias Mutter das Haus. Sie folgt mir stumm und verweilt lange in den Räumen. Sie scheint gar nicht auf die Details zu achten, die für die anderen Gäste aus Deutschland so spektakulär sind, etwa die handbemalten Böden, die schiefen Decken mit den vigas vistas oder das rustikale Mobiliar. Vermutlich ist sie schon einen Schritt weiter. Für sie ist es eine nostalgische Reise in das Dorf, in dem sie selbst aufgewachsen ist und das sie vor über vierzig Jahren verlassen hat. In Richtung Hannover.
Nach der kurzen Besichtigung führe ich Prude in den Innenhof. » Quieres un café , möchtest du einen Kaffee?«, frage ich sie.
Sie nickt. Ich verschwinde und kredenze schnell zwei café con leche .
»Das Haus ist sehr schön«, sagt sie, als ich mit dem Tablett wieder nach draußen komme.
»Si.«
Dann schweigen wir wieder für eine Weile.
»Ich würde gerne mal durchs Dorf gehen«, sagt Prude unvermittelt, trinkt hastig aus und steht auf.
»Ja, natürlich.« Ich bin überrascht. In Köln wäre ein derartiger Alleingang undenkbar gewesen. Da hätte ich sie an die Hand nehmen und buchstäblich herumführen müssen.
»Hasta luego.«
Ich nutze die Gelegenheit, steige zum Garten hoch und pflücke ein paar Orangen. Jetzt, Ende April, schmecken sie am besten. In der Küche presse ich gerade den zuckersüßen Saft heraus, als Luna reinkommt. In ihren Armen hält sie ein halbes Dutzend Kleider, die Prude für sie angefertigt hat. Sie sind alle wunderschön, voller kleiner Details und handwerklicher Perfektion. Meine Tochter grinst übers ganze Gesicht und zeigt mir eins der Kleider.
»Wow, die sind aber echt toll.« Nachdenklich berühre ich den Stoff.
Ich bekomme es nicht zusammen. Wie kann jemand nur so kühl sein und gleichzeitig so kreativ und liebevoll schneidern? Ich werde Prude mal etwas auf den Zahn fühlen, wenn sie zurückkommt. Nach drei Runden Memory und einmal Esel-Streck-Dich höre ich, wie die Haustüre geht. Prude.
Zufrieden steht sie mit zwei Tüten voller Obst und Gemüse vor uns. » Bueno , ich habe alles gefunden«, sagt sie und klingt, als ginge es um mehr als ein paar Knoblauchzehen und Strauchtomaten. »Die Leute hier grüßen alle nett. Ich habe auf dem kurzen Weg schon mit drei Mallorquinern ein Schwätzchen gehalten. Das ist so anders als in Deutschland.«
»Da du es gerade ansprichst«, sage ich und nehme ihr die Tüten ab, »wie war das eigentlich, als du damals ausgewandert bist?«
Prude sieht mich mit großen Augen an, als hätte das noch nie jemand gefragt. »Uff, wo soll ich denn da anfangen?«
Ich zucke mit den Schultern. »Wie war es, als ihr nach Deutschland gekommen seid?«
» Pues , grauenhaft.« Prude schaut über die Orangenbäume hinweg in die Schäfchenwolken. »Es war 1969, zur Zeit Francos. Damals gab es kaum Arbeit in Kastilien. Pedro, mein Mann, wollte bei der Post in unserem Dorf anfangen. Erst mal schien alles zu klappen, aber dann sagten sie ihm in letzter Minute ab. Ja, und dann war da diese Organisation, die überall erzählte, man könne in Deutschland leicht Arbeit finden. Das klang nach dem einzigen Ausweg. Also zahlten wir einen kleinen Betrag, und sie kümmerten sich um Pedros Arbeitsvertrag. Er sollte als Schweißer in einer Fabrik in Gelsenkirchen anfangen.«
»Was wusstet ihr denn zu diesem Zeitpunkt von Deutschland?«
»Nur, dass sie zwei Kriege verloren hatten. Das war alles. Wir sprachen kein Wort Deutsch, wussten nichts über Land und Leute, auch nicht über das Wetter oder das Essen. Gar nichts. Es hätte genauso gut Australien oder China sein können.« Prude schluckt und schüttelt leicht den Kopf, als könnte sie es immer noch nicht fassen. »Eines Nachts im November wurden wir dann in den Zug gesetzt. Jeder von uns hatte ein Pappschild um den Hals hängen, auf dem eine Nummer stand. Wie Vieh. Es war die Postleitzahl des Ortes, an den wir gebracht wurden. Vier – sechs – fünf – null stand auf meinem. Die Zahl werde ich nie vergessen.«
Etwas betreten blicke ich zu Boden.
»Dann sprang irgendwann ein Mann in den Zug und meinte, dass wir aussteigen müssten. Draußen war es eiskalt und so dunkel, dass die Laternen kaum dagegen ankamen. Er brachte uns zu einer Wohnung, in der wir mit drei weiteren Ehepaaren leben sollten. Wir teilten uns ein Klo mit acht Leuten. Ein italienisches Paar musste zudem durch unser Schlafzimmer, um
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