Papa ante Palma
in seines zu kommen. Duschen konnte man nur in der Fabrik.« Prude hält inne.
»Magst du vielleicht einen frisch gepressten Orangensaft?«, frage ich.
» No, gracias. Doch das Schlimmste war das Essen.« Prude lacht heiser. »In der Fabrik gaben sie uns verwässerte Kartoffelsuppe. So etwas Grauenhaftes hatte ich noch nie zuvor gegessen. Außerdem ging für Nahrungsmittel viel von unserem Lohn drauf. Damals kannte man in Deutschland noch keine Auberginen, Zucchini und Melonen. Auch Paprika und Knoblauch waren so gut wie nicht zu kriegen.« Prude schaut auf die Einkaufstüten. »Es war entsetzlich. In den ersten Wochen habe ich fast jede Nacht geweint, während Pedro neben mir schlief, erschlagen von der harten Arbeit.«
»Und die Deutschen? Wie waren die Leute?«
» Pues , wir konnten uns mit ihnen nur über einen der Italiener verständigen. Er sprach etwas Deutsch und übersetzte. Ohne ihn wären wir verloren gewesen. Und die Deutschen … sie behandelten uns stets sehr korrekt, aber nicht herzlich. Aus einigen Bars wurden wir sogar hinausgeworfen, weil wir Ausländer waren. Aber das war wirklich unser geringstes Problem. Dann bekam Pedro ein Angebot aus Hannover, und wir zogen dorthin. Ich fand dort bald eine Arbeit als Näherin.«
»Wolltet ihr nicht sofort umkehren, sobald sich die Lage in Spanien etwas verbessert hatte?«, frage ich.
» Por supuesto , natürlich! Aber dann kam Lucia zur Welt. Zudem starb Franco und hinterließ in unserer Heimat einen Trümmerhaufen. An eine Rückkehr war damit erst mal nicht mehr zu denken. Und dann … dann wurde Pedro krank und starb.«
Luna setzt sich auf Prudes Schoß. Sie hat eins der neuen Kleider an.
»Was ich am meisten über all die Jahre vermisst habe, sind die Leute hier. Das Leben auf der Straße. Die Gemeinschaft. In Deutschland verschanzen sich alle immer gleich nach der Arbeit.«
»Das kann man ihnen bei dem Wetter nicht verübeln.«
»Vielleicht nicht, schade ist es trotzdem.« Prude küsst Luna auf die Backe. »Mit der Zeit sehnte ich mich immer mehr nach Spanien. Es ist wie bei einer Beziehung. Je länger sie zurückliegt, desto mehr überwiegen in Gedanken die Vorzüge, die guten Zeiten. Andersherum wird es vermutlich genauso sein. Du wirst dein Heimatland auch vermissen.«
»Ja, das tue ich, oft sogar. Aber genauso oft fehlt es mir überhaupt nicht.« Ich lächele und bin froh, dass ich einfach mal nachgefragt habe.
Die Haustür geht auf. Lucia kommt heute etwas früher nach Hause. Wegen Prude und weil ich sie darum gebeten habe. Die Zwillinge stürmen sofort auf sie zu, um ihr Prudes Geschenke und die Kleider zu zeigen.
Mit einem kurzen, straffen Ruck zieht Prude ihren Pullover nach unten, steht auf und geht auf Lucia zu. Es ist vielleicht das dritte oder vierte Mal, dass ich die beiden zusammen sehe. Sie haben so gar nichts gemeinsam. Nur im Schweigen ähneln sie sich. Aber schweigen tun sie eigentlich nur, wenn sie gemeinsam in einem Raum sind. Sie drücken sich kurz.
»Wie war dein Flug?«
»Gut.« Prude holt einen weiteren Stapel Kleidung aus ihrem Koffer. Es sind Blusen, Hemden und Hosen für Lucia, handmade by Prudencia.
»Danke«, sagt Lucia. »Ich probiere sie später an. Jetzt will ich erst mal wissen, was die Kinder für tolle Sachen bekommen haben.«
»Vale« , sagt Prude leise.
Während Sophie in einem Bilderbuch blättert, streift sich Luna ein Kleid nach dem anderen über und dreht wacklige Pirouetten.
»Mensch, das sind ja tolle Kleider«, sagt Lucia.
Prude steht hinter den beiden. Die Szene hat ihr ein friedliches Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Ein bei ihr selten gesehener und dennoch sehr vertrauter Gesichtsausdruck. Zu meiner Verblüffung spüre ich, wie mir automatisch das Herz aufgeht. Es ist Lucias Lächeln.
»Äh, Prude?«, sage ich spontan, »magst du morgen Abend mit zu meinem Konzert kommen? Ich spiele mit einem mallorquinischen Freund im Dorftheater.«
» Si , ich komme gerne.«
Na also, denke ich, als ich abends im Bett liege. Der erste Tag war doch gar nicht mal so schlecht.
Als ich am nächsten Abend auf das Theater zugehe, stehen schon ein paar Leute davor.
»Viele werden nicht kommen«, hat Jaume bei der letzten Probe gesagt. »Für die meisten ist der Weg aus Palma zu weit, und die Dorfbewohner sitzen lieber auf der Plaza, sobald der Winter vorüber ist.«
»Was soll’s, wir spielen ja auch für uns und den Blues und überhaupt … Wenn hier schon ein Theater rumsteht, das man einfach benutzen
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