Papa ante Palma
Bundfaltenhose und ein perfekt gebügeltes Hemd, so, als wäre er bereit für einen Sonntagsspaziergang an der Strandpromenade und nicht für die Arbeit hinter der Theke. Seine Mutter, die im Rollstuhl sitzt, ist auch immer da. Meist hockt er mit ihr in einer Ecke der Bar und schaut fern, wenn ich komme. Er kümmert sich rührend um die alte Dame und lässt alles stehen und liegen, sobald sie auch nur die Hand hebt.
Angel gehört noch zu der Gattung von Barmännern, die selbst entscheiden, ob und wann der Gast bedient wird. So warte ich auch heute, als einziger Gast, fast eine Viertelstunde, bis er an meinen Tisch kommt. »Gracias« , bedanke ich mich, als er mir kurz darauf den bestellten cortado bringt. Zwei Schlucke, dann lege ich ein paar Münzen auf den Tisch. Seine Mutter winkt mir zum Abschied, glaube ich zumindest, und weiter geht’s, zum Einkaufen.
Im Supermarkt funktioniere ich den Kinderwagen zum Einkaufswagen um und lege Bier, jamón Serrano, frischen Fisch, Bier, Wein, Brot und Gemüse hinein. An der Kasse muss ich erst das vorherrschende Prinzip der Langsamkeit verstehen. Die Kassiererin mit dem kreisrunden Gesicht und den riesigen Augen zieht jedes einzelne Teil so langsam und zärtlich über den Scanner, als würde sie den Rücken ihres Liebhabers mit einem Eiswürfel entlangfahren, und hält dabei noch in aller Seelenruhe einen Schwatz mit ihrer Kollegin.
Unglaublich, die Spanier reden wie Maschinenpistolen, fahren ultraschnell Motorrad und bewegen die Füße beim Flamenco fixer als gedopte Nähmaschinen, aber beim Arbeiten ist alles anders. Da macht sich eine Ruhe in ihnen breit, die auf einen Nordländer beinahe schon provozierend wirken muss. Ruhig bleiben, besser ich gewöhne mich dran. Zudem wirken die Leute hier wirklich entspannter und ausgeglichener, als ich es aus den Supermärkten in Köln kenne. Zeit existiert auf dieser Insel offensichtlich nur, um verbraucht zu werden, und nicht, um sie zu sparen.
Ich schiebe den Wagen über die Calle del General Riera in Richtung Wohnung, als mich ein paar Meter vor der Haustür ein unrasierter Mann abfängt. Er bleibt vor dem Wagen stehen, faltet entzückt die Hände und sagt: » Qué guapos son , was für wunderschöne Kinder Sie doch haben.«
Dann streichelt er über die Bierdosen, die aus der Einkaufstüte hervorlugen, und fragt: »Na, wie heißt ihr Süßen denn?« Gefolgt von einem nicht enden wollenden Ducados-Brüll-Husten und einem gutgemeinten Schulterklopfer.
Ich grinse ihn nur freundlich an und gehe weiter.
Zu Hause räume ich die Sachen ein und rufe Thomas an. Leider läuft das Studio schleppend, weshalb er mir gerade keine Aufträge durchreichen kann. Es sieht also ganz danach aus, als müsste ich selbst auf Kundenfang gehen.
Ich nutze die kinderfreie Zeit, um ein bisschen Gitarre zu spielen, was ich schon sehr lange nicht mehr getan habe. Spontan wähle ich die handgefertigte Selmer-Style-Gitarre und hole sie vorsichtig aus dem Koffer. Ich spiele Djangos »Montagne Saint Genevieve«.
Plötzlich eine Art Geheul, so, wie es Wölfe bei Vollmond von sich geben. Es ist weiß Gott nicht unüblich, dass die Spanier ihre Köter auf die winzigen Balkone sperren und stundenlang jaulen lassen. Ich stöpsele die Gitarre ab und horche. Ja, das Geheul kommt eindeutig aus Paus Wohnung und ist eingebettet in ein tiefes Knurren und Brummen, als wäre da doch noch ein anderes, ein größeres Tier. Das Eigenartige ist, dass Pau gar keinen Hund hat, schon gar nicht zwei. Es hätte auch gar nicht zu ihm gepasst, allein der Hygiene wegen. Ich notiere im Logbuch: »06. 08., 11.30 Uhr MEZ , entsetzliche Wolfslaute und tiefes Bärenknurren aus Paus Wohnung. Ein sehr großes Tier scheint ein kleineres zu malträtieren. Deutliche Überschreitung der erlaubten Dezibelgrenze. Fühle mich in der Ausübung meiner kreativen Tätigkeit auf das Empfindlichste gestört. Werde das weiter beobachten.«
Zufrieden spiele ich noch ein paar Phrasen von Pat Martino, bis ich eine Pause mache, um kurz den Müll runterzubringen und nach der Post zu schauen. Als ich, den Müllbeutel noch in der Hand, unten im Treppenhaus den Briefkasten aufschließen will, höre ich, wie sich der leere Aufzug mit einem Rumpeln schließt und nach oben schwebt. Auf der Digitalanzeige über der Schiebetür leuchtet die Vier. Paus Stockwerk.
Im Briefkasten finde ich obendrein eine Nachricht von Pau. Er schreibt, er habe in einem verborgenen Winkel des Treppenhauses eine Puppe unserer Kinder
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