Papa
erwachsener. Bedrohlicher. »Wenn du es gekonnt hättest«, sagte sie mit inbrünstiger Überzeugung, »hättest du es längst gemacht.«
Er bog nach links ab und fuhr über ein Schotterfeld zwischen Baucontainern hindurch zu einer Betonplatte, die wahrscheinlich das Fundament für ein späteres Nebengebäude war. Dort stellte er den Wagen ab.
Mit einem Ruck drehte er sich um. Seine Lippen hatten sich in zwei schmale Linien verwandelt, und die Finger gruben sich in das Sitzpolster. »Treib es nicht zu weit. Bis jetzt hatte ich Hoffnung für dich. Sieh zu, dass sie nicht vollständig versiegt. Wenn ich hier fertig bin, kümmere ich mich um dich. Und wenn du nicht willst, dass ich deiner Mutter etwas antue, dann verhältst du dich jetzt still.«
Lillian schürzte die Lippen, erwiderte aber nichts.
Tommi stieg aus. Vor ihm erhob sich das Skelett eines Hochhauses in den Abendhimmel. Einige der unteren Etagen waren fast fertig, aber weiter oben streckte sich das nackte Gerüst der Eisenträger nach den Wolken aus. Der perfekte Ort!
Er ging zum Kofferraum und zerrte Maik heraus. Ächzend warf er ihn sich über die Schulter, verschloss das Auto und schleppte ihn zum Eingang des Hauses.
Die Kellertür war schwer und das Gewicht der Leiche erdrückend. Plötzlich vibrierte es in seiner Tasche. Das Klingeln des Handys hatte er vorsichtshalber ausgestellt. Die Nummer war keinem Namen zugeordnet, trotzdem ging er ran.
Eine Stimme meldete sich, die er zunächst nicht erkannte. Doch dann schien Maik mit jedem Wort schwerer zu werden.
»Mir tut es leid, dass ich mich bereits jetzt melde«, sagte Ya-Long P’an mit süffisanter Stimme. »Es ist eigentlich nicht meine Art, voreilig zu werden. Die Umstände allerdings haben sich ein wenig geändert, und wie Sie wissen, ändert das die Preise.«
»Es war alles geklärt und abgesprochen«, flüsterte er ins Telefon. Wie konnte das sein? Er hatte sie doch umgebracht. Ya-Long P’an war tot, verflucht. Als wäre er in einen heißen Föhn geraten, begann er zu schwitzen. Seine Kleidung schien ein paar Nummern geschrumpft zu sein. Nur mit Mühe hielt er sich aufrecht. Wen zum Teufel hatte Michelle ihm untergejubelt?
Das Ritual. Es war in Gefahr.
Der Boden unter ihm schien zu schwanken.
Das konnte doch unmöglich wahr sein.
»Mein Preis ist gestiegen«, sagte Ya-Long kalt.
»Mist, verdammter! Nein, auf keinen Fall!«, schrie er. Maik schien ihn erdrücken zu wollen. Tommis Rücken knackte, und ein scharfer Schmerz schoss ihm die Wirbelsäule entlang in die rechte Gesäßhälfte. »Nun mach dich nicht so schwer.« Er verlagerte Maiks Gewicht, und zu Ya-Long sagte er:
»Wir hatten eine Vereinbarung.«
Doch die Chinesin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Sie bringen mir Michelle. Lebend. Dann vergesse ich vielleicht Ihren kleinen Ausrutscher. Offenbar haben Sie vergessen, mit wem Sie es zu tun haben. Aber machen Sie sich keine Sorgen, ich werde Sie erinnern.« Sie legte auf.
Alles drehte sich. Was jetzt? Wie sollte er das geradebiegen? Er brauchte Ya-Long für das Ritual, aber er brauchte auch Michelle. Ungezügelte Wut ließ sein Blut kochen, vernebelte ihm die Sicht. Alles entglitt ihm. Wie Sand rieselte ihm seine Zukunft durch die Finger. Das durfte nicht sein.
Ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, schleppte er sich die Treppe hinauf. Unter dem Einwegschutzanzug, den er trug, staute sich die Hitze. Das war ein geringer Preis dafür, dass er nach getaner Arbeit sauber sein würde wie ein Baby. Er musste weitermachen. Nicht aufgeben. Nur nicht aufgeben.
Der Wind frischte auf, und es wurde kühler, je höher er stieg. Es roch nach Ruß und nach Regen, was ungewöhnlich war. Normalerweise wusch der Regen den Ruß aus der Luft. Kurz vor einem explodierenden Sommergewitter konnte man beides riechen, wenn der Smog auf die Stadt drückte und die ersten dicken Regentropfen den Asphalt trafen.
Der Geruch hatte etwas Magisches. Er war der Vorbote für etwas Gewaltiges.
Tommi lief ein Schauer über den Rücken.
Nur noch ein paar Stufen bis zum Ziel. Jede Stufe schürte die Vorfreude.
Dafür wurden Kunstwerke gemacht. Für die Gänsehaut.
Oben angekommen, fegte ihm ein frischer Wind um die Ohren. Ja, dies war der perfekte Ort. Mit jedem Stockwerk, das er erobert hatte, war die Wut weiter abgeflaut. Jetzt trübte der Gedanke an die Chinesin lediglich seine Euphorie. Seine Kunst war hier für alle sichtbar. Es würde perfekt werden.
Dieses Stockwerk hatte keine
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