Papa
verschwunden.
Umso besser. Dann hatte er jetzt ein paar Minuten, um nachzudenken. Immerhin musste er gleich sein Kunstwerk in die Öffentlichkeit bringen, und dabei durfte er keinen Fehler machen. Er schloss die Augen und ging alle nötigen Arbeitsschritte im Geiste durch.
Dann nahm er ein Stück Seife und schrubbte sich damit ab, bis alles Blut weggewaschen war.
Er stieg aus der Wanne, trocknete sich ab, zog sich an und ging direkt in den Keller. Er wollte keine Zeit verlieren. Die Sachen, die er brauchte, hatte er sich schon zurechtgelegt. Der Waschraum duftete nach frischer Wäsche, was in letzter Zeit selten vorkam. Nur wer eine Nase dafür hatte, würde den leicht süßlichen Geruch bemerken, der wie ein Nebelhauch in der Luft schwebte. Die Leiche lag achtlos auf dem Boden.
Wie schwer sie gewesen war. Tommi hatte ordentlich geschwitzt, um sie hierherzuschaffen. Da lag sie nun und sah aus, als ruhte sie sich aus. Nie hätte er gedacht, dass Michelle es tatsächlich tun würde, aber das Loch in Maiks Stirn war eindeutig. Das Ausbluten war kein Problem gewesen. Maiks Herz hatte noch geschlagen, und so war ein Großteil der Flüssigkeit automatisch in das Abflussgitter gepumpt worden. Die Häutung gestaltete sich schon schwieriger. Das war Knochenarbeit, und Tommi hätte sich danach gern ein wenig entspannt, aber er wollte es zu Ende bringen. Er streckte sich, so gut es in dem niedrigen Raum ging, und stieg über Maik hinweg, der inzwischen in eine Plastikfolie gewickelt war. Schmierig schmiegte sich der nackte Körper dagegen. So würde er Maik nicht packen können. Aus einem der Regale zog Tommi ein Seil hervor und verschnürte damit die Leiche. Anschließend wickelte er sie in eine dicke, braune Wolldecke, die er an zwei Stellen unter die Seile schob, um so zwei Griffe zu formen.
Daran zog er sie die Treppe hoch und ließ sie im Flur liegen. Er brauchte noch mehr Dinge. Einen Moment lang fürchtete er, sie würden ihm nicht mehr einfallen – zu viel schwirrte ihm durch den Kopf –, aber dann erinnerte er sich.
Er ging zurück in den Keller und schnappte sich eine Tasche. Seine Hände glitten über den Stoff und fühlten über die harten Konturen der Gegenstände im Innern. Jedes Mal, wenn er kurz davor stand, etwas Großes zu erschaffen, spürte er diese Erhabenheit. In diesen Momenten stand er hoch über allen anderen Menschen. War stärker, klüger, kreativer als der Rest.
Er öffnete den Reißverschluss der Tasche, sammelte die verbliebenen Stücke ein, die er benötigte, und verstaute alles zusammen in seinem Auto. Selbst an den Flaschenzug, mit dem er Maik am Gerüst hochhieven wollte, hatte er gedacht. Der alte Ford ächzte unter dem Gewicht.
Falls Tommi beim Einladen beobachtet wurde, so fiel es ihm nicht auf. Zu sehr genoss er das überlegene Gefühl. Wer wagte schon, ihm etwas anzutun? Ihn aufzuhalten?
Maik hatte es sich in den Kopf gesetzt, sich über seinen Tod hinaus zu wehren. Er machte sich unglaublich schwer. Tommi warf ihn sich über die Schulter, und mit jedem Schritt drückte ihn der Leichnam mehr zu Boden. Der Weg zum Auto schien mit jedem zurückgelegten Meter länger zu werden. Doch schließlich war alles verstaut.
Mit schmerzendem Rücken setzte er sich ans Steuer. Sollte er Lillian mitnehmen? Er könnte ihr in Sachen Kunst so einiges beibringen. Sicher würde sie besser lernen als das Monster im Keller. Sogar als Tommi alle Türen fest verschlossen hatte, hatte er das Jammern gehört. Ganz leise nur, aber selbst wenn es zu einem Wispern geworden war: Es war noch da. Irgendwann musste es doch auch mal gut sein. Manche lernten eben äußerst langsam.
Als er mit dem Auto losfuhr, hatte er Lillian und das Jammern schon aus seinem Kopf verbannt. Zu sehr konzentrierte er sich auf seine Arbeit. Auf seine Kunst.
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Kapitel 34
I m ersten Moment dachte Michelle, lebendig begraben worden zu sein, doch die Dunkelheit war nicht überall gleich. Unter der Tür, durch einen dünnen Schlitz, fiel Sonnenlicht in den Raum. Zwar nur gedämpft, aber das war besser als nichts. Es machte die Woge der Panik, die über sie hereinzubrechen drohte, beherrschbarer.
Michelles Kopf dröhnte, so dass jede Drehung Übelkeit in ihr auslöste. Lieber nicht bewegen. Denken war schon anstrengend genug.
Warum lebst du noch?
Darauf hatte sie keine Antwort. Vielleicht, weil sie Glück hatte? Oder schlimmer: weil sie Pech hatte? Wie auch immer die Antwort ausfiel, liegen bleiben und abwarten war keine
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