Papa
dächte er angestrengt nach.
Durch die Oberfenster der Werkshalle einer ehemaligen Stahlfabrik, die kostengünstig in ein Institut für Rechtsmedizin umgebaut worden war, drang nur wenig Licht. Das lag weniger an dem verdreckten Glas, sondern vielmehr an diesem trüben Morgen.
Zellinger hatte ihm und Maik klargemacht, wie wichtig dieser Fall war. Ein Mörder, der so viel Aufmerksamkeit bekam, würde irgendwann die Presse sprengen. Nachrichtensperre hin oder her.
Robert kaute auf seinen Handknöcheln herum; das linderte zwar den Würgereiz, verbesserte aber nicht wirklich seine Gesamtsituation. Der Anblick von roher Leber und Gedärmen war eine Sache. Der
Geruch
eine ganz andere.
Maik ging es da besser. Er war ein alter Hase, und eine Leiche brachte ihn nicht aus der Fassung. Nicht mal eine geöffnete, oder eine, wie diese hier, bei der man bis auf den Seziertisch gucken konnte, weil der Mörder ihre Unterseite bereits aufgeschnitten hatte.
Es war ungewöhnlich, eine Frau ihres Alters mit so vielen Tätowierungen vor sich zu haben.
Zumindest in der heutigen Zeit
, fügte er in Gedanken hinzu.
Wenn wir alt sind, wird das sicher nicht mehr so exotisch wirken.
Der Kopf der Leiche war bereits aufgesägt, die Hautlappen ihres Gesichtes waren heruntergeklappt. Dr. Emily Gäter hatte mit einem Y-Schnitt, der jeweils von den Schultern zum Brustbein und dann mittig zum Schambein verlief, die Tote geöffnet.
An den Wundrändern, wo die Frau vom Täter gehäutet worden war, war die Nekrose schon fortgeschritten, und es fielen noch immer Maden aus diversen Öffnungen. Die Hautlappen ihres Rückens waren ausgetrocknet und brüchig, was Dr. Gäter dazu veranlasst hatte, sie zum Teil abzutrennen. Während der ganzen Zeit wuselte eine ältere, dickliche Frau um sie herum und assistierte. Ihren Namen hatte Robert vergessen – zu sehr musste er sich auf seinen Magen konzentrieren.
Einen kurzen Moment lang hatte Robert das Bild des Schmetterlings vor Augen, wie er zwischen dem Gestänge des Gasometers schwebte, durchleuchtet von den Strahlen der untergehenden Sonne. Diese aufgeschnittene Frau vor ihm hatte mit dem schönen Bild nichts mehr gemein.
Ihre Identität war eine Überraschung. Sie hieß Dorothea Ried und war Tom Rieds Mutter.
Die Leiche knackte, und Robert würgte.
Dr. Gäter sprach in ein Mikrofon, das über Dorothea schwebte. »Ich entnehme der Leiche als Erstes den Darm. Oberflächlich ist keine Perforation zu erkennen. Die Zersetzung ist weit fortgeschritten, was bei dem Zustand der Leiche zu erwarten ist.« Sie griff beherzt in den toten Körper und zog ein Knäuel aus stinkenden Schlangen hervor, die schmatzend über ihre Hände glitten. »Ich muss aufpassen, dass ich den Darm nicht beschädige«, sagte sie zu Maik, der sich interessiert darüberbeugte. »Der heraustretende Kot würde die anderen Organe verdrecken und meine Arbeit unangenehm machen.«
Maiks Augenbrauen sprangen nach oben. »Dann ist sie jetzt noch nicht unangenehm?«
Robert drehte sich um, ging in das kleine Büro nebenan, schloss die Tür und setzte sich an den Schreibtisch. Sein Kopf prallte auf die Tischplatte und blieb dort liegen. Langsam atmete er ein, doch der Leichengeruch steckte tief in seiner Nase, ebenso der des Darms. Faulige Exkremente waren Dinge, die man vor allem morgens nicht riechen wollte. Daran würde er sich nie gewöhnen.
Schon öfter hatte er gelesen, dass Tote süßlich rochen. Darunter konnte er sich nichts vorstellen. Seine erste Leiche, ein zwölfjähriger Junge, den ein perverser Typ beim Spielen im Wald erdrosselt hatte und der erst nach einem Tag in der prallen Sonne gefunden wurde, roch tatsächlich süßlich. Doch das beschrieb es nicht gänzlich.
Der Geruch war schwer. Er verflog nicht einfach. Er schien sich an die Leiche zu klammern und zu reifen. Aufgetautes Rindfleisch roch ähnlich. Am Anfang. Kamen dann die Faulgase hinzu, wurde es unerträglich. Nicht nur der Anblick, wenn sich Teile der Haut aufblähten und sich Risse bildeten.
Robert hatte mal eine Portion Gulasch im Kühlschrank vergessen. Als er nach Wochen neugierig in den Topf schaute, hatte sich nicht nur der Anblick verändert. Die Luft, die ihm ins Gesicht schlug, war faulig, leicht erdig und beißend. Er hatte sich augenblicklich übergeben. Bei dem Jungen war es ähnlich, nur viel schlimmer.
Robert riss den Kopf hoch und versuchte, tief und gleichmäßig zu atmen. Warum dachte man ausgerechnet dann über so etwas nach, wenn einem eh
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