Papa
Hand. Nicht sonderlich gut aufgelöst, aber sollte es nötig sein, würde man die Bilder später am PC in besserer Qualität immer noch durchsehen können.
Robert betrachtete jedes Foto und schrieb, was er sah, in seinen Notizblock. Schwarze Linien führten in Spiralen und Schleifen über den ganzen Körper der Frau. Grobe Tupfen, vermutlich aus Ölfarbe – da würde er sich erkundigen müssen – fügten der Haut bunte Akzente hinzu.
Aus der Nähe betrachtet, sah die Arbeit grob und unvollständig aus. Erst wenn man ein paar Schritte zurücktrat, erkannte man die farbigen Muster, wie Schmetterlinge sie trugen. Schön zwar, aber wenig aufregend. Doch ein paar von den Fotos erregten Roberts Aufmerksamkeit als Ermittler.
Zwischen den geometrischen und abstrakten Ornamenten versteckten sich detaillierte Bilder.
Auf ihrer Brust entwischte ein Lamm einem zähnefletschenden Wolf durch einen Zaun. An anderer Stelle war ein Mädchen abgebildet, das seine besondere Aufmerksamkeit erregte. Es reckte den Kopf in die Höhe, als versuchte es, Luft zu bekommen. Darunter war etwas geschrieben:
1659 = 2; 1555 = 0; 1556 = 1; 9999 = 4; 0000 = 4; 1111 = 0; 1029 = ?.
Direkt dahinter war das Abbild eines runden Mondes, gefolgt von einer weißen Blüte.
Darüber würde er sich später Gedanken machen. »Ich habe alles«, sagte er und steckte die Fotos samt Notizblock ein. »Vielleicht können wir den Suchradius schon eingrenzen, wenn wir die Analysen der benutzten Farben haben. Würden Sie beim ZD etwas Druck machen?«
Emily Gäter schob eine Augenbraue nach oben, antwortete jedoch nicht. Robert deutete das mal als ein
Ja
.
Maik schien sich von der Leiche nicht losreißen zu können. »Die Arbeit ist wirklich gut. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sich diese Frau gewehrt haben dürfte.«
Robert nickte Dr. Gäter zum Abschied zu und zog seinen Partner beim Hinausgehen mit sich. »Hat Thomas Ried nicht auch gemalt? Ich lass mir alle Fingernägel ziehen, wenn das nicht zusammenhängt. Vielleicht sollten wir den Fall ›entflohener Patient‹ doch zu unserem machen?«
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Kapitel 10
M ichelle drehte das Polaroid in ihrer Hand und betrachtete es von allen Seiten. Es mutete wie ein Bild aus der Vergangenheit an. In einer Welt, in der Fotos digital gemacht werden, wirkte es merkwürdig deplatziert. Das ließ es noch beängstigender erscheinen.
Hatte diese perverse Scheußlichkeit etwas mit Lillys Verschwinden zu tun? Steckte Tom dahinter? War es nur ein Zufall, dass sie dieses Foto gefunden hatte? War es überhaupt echt oder nur ein Scherz unter Jugendlichen? Das alles ergab keinen Sinn.
Es war keine gute Fotografie, aber darum ging es wohl auch nicht. Die Farben waren blass, und das Motiv war unscharf. Es wirkte so fürchterlich unecht wie die Plastiken in der
Körperwelten
-Ausstellung.
Michelle starrte das Polaroid an, als wartete sie darauf, dass die Antwort jeden Moment herausspringen würde.
Das
Ding
, das darauf zu sehen war, glotzte mit lidlosen Augen zurück. Keine Haut bedeckte das glänzende Fleisch, und eine üble Wunde erstreckte sich vom Kehlkopf bis zum Schambein. Doch fast noch mehr Angst machte ihr die grobe, hastig hingekritzelte Zeichnung. Mitten auf das Polaroid, so als wäre sie wichtiger als das Motiv. Ein Wolf und ein Lamm. Sollte das ein Scherz sein, war es kein guter.
Michelle hatte Lilly noch eine Weile erfolglos gesucht und war anschließend direkt aufs Polizeirevier gefahren. Das mit dem Foto hatte sie allerdings verschwiegen. Ob vor Aufregung oder aus Misstrauen wusste sie nicht mehr. Sie betete, dass die Polizei ihre Tochter finden würde, wo auch immer sie in diesem Moment sein mochte.
Michelle konnte den Blick nicht vom Polaroid abwenden.
Es war wie ein Fenster in eine grausame, dunkle Welt, aus der nichts herauskam, wenn es einmal hineingeraten war.
Vielleicht war Lilly, ihr kleines Baby, in diese Welt hineingezerrt worden, und nun war Michelle die Einzige, die davon wusste? Die Einzige, die eine Chance hatte, ihr zu helfen?
Sie musste ihre Tochter finden. Die Vorstellung, was Tom ihr antun könnte, fraß sich wie Krebs durch ihr Gehirn.
Ihre Finger zitterten, als sie das Telefon nahm und die nächste Telefonnummer auf ihrer Liste anrief. Als es in der Leitung tutete, schluckte sie den Kloß hinunter, der ihr im Hals steckte.
Wahrscheinlich machte sie sich nur unnötig Gedanken. Eltern machten sich immer große Sorgen und malten sich die fürchterlichsten Dinge aus. Überall lauerten
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