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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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sie dergleichen wissen konnte. »Die müssen das Knochengerüst für sein Gesicht neu richten.«
    Ich wandte den Blick ab, sie wusste einfach zu viele Dinge, die ich nicht wissen wollte. Dann spürte ich ihre Hand auf meinem Knie. »Das muss nicht heißen, dass er nicht wieder ordentlich aussehen wird«, sagte sie. »Ich kenne viele Leute, die am Gesicht operiert wurden, und die meisten sehen heute prima aus.«
    Sie drückte mein Bein, wollte, dass ich ihr ins Gesicht sah. »Jack«, sagte sie, »Sie haben es wahrscheinlich noch nicht gemerkt, aber seit sie Ihnen die Flasche über den Schädel gezogen haben, sind Sie irgendwie anders.«
    Aber nicht der Hieb auf meinen Kopf hatte mich verändert, sondern der Anblick meines Bruders, nass und blutverschmiert wie ein neugeborenes Baby.
    Ich legte die Hände vors Gesicht und schloss die Augen. Das Zimmer drehte sich. »Jack?« sagte sie. Ich schüttelte den Kopf, um ihr zu sagen, dass ich nicht reden wollte. Ich hatte plötzlich Angst, dass ich weinen könnte wie der Matrose.
    »Für einen Mann ist es nicht so schlimm wie für eine Frau«, sagte sie leise. »Dafür muss man immerhin dankbar sein.« Und dann sagten wir beide lange Zeit keinen Ton. Sie ließ ihre Hand auf meinem Knie ruhen und strich manchmal mit der anderen Hand über meinen Nacken. Dann war mir wieder schlecht, und ich stand auf, ihre Hand noch auf meinem Bein, und lief zur Toilette am anderen Ende des Wartezimmers.
    Ich hockte vor der Toilette, wiegte mich hin und her und wartete darauf, dass die Übelkeit nachließ. Die Spritzer der Toilettenspülung kühlten mein Gesicht, meine Arme und Beine waren noch schwach und zittrig. Ich weiß noch, dass ich überlegte, ob ich jemals wieder aufstehen konnte.
    Sie kam mir nach, stand in der Toilettentür und fragte: »Alles in Ordnung?«
    Ihre Stimme hallte in dem Raum wider. Ich drückte die Spülung und riss mich zusammen. Charlotte beugte sich zu mir herunter, und ich roch wieder ihr Parfüm. Dann waren ihre Hände unter meinen Armen und halfen mir auf.
    Ich ging ans Waschbecken, ließ Wasser über meine Hände laufen und verbarg das Gesicht darin. Geduldig stand sie hinter mir und wartete, bis ich fertig war.
    Die Tür ging auf, und ein alter Mann mit langem Mantel ging am Stock langsam zum Pissoir. Er sah sie dort stehen, schien aber schon lange im Krankenhaus zu sein, denn er war es wohl gewohnt, vor Frauen zu urinieren.
    »Wenn Ihr Bruder aus dem OP kommt, fahren wir zurück ins Hotel und rufen Yardley an«, sagte sie. »Danach holen wir etwas Schlaf nach.«
    Ich schaute sie an und versuchte zu begreifen, was sie gesagt hatte, aber die Worte hatten keine Bedeutung und verflüchtigten sich in alle möglichen Richtungen. Ich schüttelte den Kopf und klammerte mich an das Waschbecken, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. »Nicht anrufen«, sagte ich.
    »Er muss Bescheid wissen«, sagte sie. Und dann, einen Augenblick später: »Ihr Vater muss auch davon erfahren. Er wird herkommen wollen.«
    »Nicht anrufen«, sagte ich noch einmal.
    »Aber Sie müssen!«
    »Lassen Sie mich nachdenken«, sagte ich.
    Sie fand eine Pfefferminzpastille in ihrer Handtasche, steckte sie mir in den Mund, nahm meinen Arm und brachte mich aus der Toilette, um mit mir darauf zu warten, dass die Ärzte aus dem Operationssaal kamen und vom Zustand meines Bruders berichteten.
    UM SECHS UHR MORGENS brachte man Ward aus dem Operationssaal in den Aufwachraum. Er lag allein in dem Zimmer, obwohl dort ein halbes Dutzend Patienten untergebracht werden konnten. Es war kühl hier, und die Schwester legte ihm eine zusätzliche Decke über Brust und Arme, wobei sie sorgfältig darauf achtete, nicht an die Schläuche zu kommen, die aus den Flaschen über ihm zu seinem Arm führten.
    Er sei bei Bewusstsein, sagte sie, aber müde. Er regte sich nicht, als ich neben ihm stand und seine Schulter berührte. Ich sagte seinen Namen.
    Er gab keine Antwort, und ich schaute wieder zur Schwester hinüber. Sie kam zu mir, suchte unter der Decke nach seinem Handgelenk, zählte die Pulsschläge und achtete auf die Atmung. Dann überprüfte sie die Schläuche, die von den Flaschen zum Arm führten, um sich zu vergewissern, dass kein Tropf zu schnell oder zu langsam lief.
    Sie sah auf ihre Uhr, dann auf meinen Bruder. »Er war lange unter Narkose«, sagte sie. »Manchmal braucht es eine Weile, bis sie wieder voll da sind.«
    Sie nahm die Fieberkurve vom Fußende des Bettes, trug seine Daten ein und eilte zu

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