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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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stehen und lauschte.
    Es klang weder hastig noch brutal, ich hörte einfach nur Schlag auf Schlag, in stetem Rhythmus. Ein dumpfer Laut. Dann und wann wechselten sie einige Worte.
    Ich warf mich gegen die Tür. Sie hielt stand, aber das Holz zeigte dort, wo ich mich dagegen geworfen hatte, den Abdruck meiner Schulter.
    Das Geräusch im Zimmer hörte auf und wurde durch ein anderes ersetzt. Es kam von Ward. Es war weder ein Stöhnen noch ein Schrei, es war fast, als versuche er zu reden.
    Ich nahm Anlauf, warf mich noch einmal gegen die Tür. Noch nie in meinem Leben hatte ich eine solche Angst. Dann hörte ich Charlotte hinter mir, hörte, wie sie den Atem anhielt, spürte ihre Furcht, und als ich mich nach ihr umdrehte, ging plötzlich die Tür auf und einer von den Matrosen stand vor mir, eine Flasche in der Hand, das Hemd blutbespritzt.
    Auf dem Boden hinter ihm lag mein Bruder. Er war nackt, ein Auge war zugeschwollen, und seine Beine waren gefesselt. Als er sich aufrichten wollte, folgte ihm ein Blutfaden und zog ihn wie ein Gummiband wieder zurück auf den Boden.
    Ich starrte auf meinen Bruder, als der Matrose mir mit der Flasche auf die Stirn schlug, und eine Zeit lang war es um mich herum dunkel.
    Als das Licht wieder anging, rannten sie zum anderen Flurende, in Richtung des Zimmers, aus dem ich gerade gekommen war. An der Decke leuchtete das Schild EXIT . Charlotte jagte über den Flur und schrie ihnen Worte nach, die für mich keinen Sinn ergaben. Sie blieb kurz stehen, hob einen Teller auf und warf damit nach ihnen, kurz bevor sie den Ausgang erreichten und Alarm auslösten. Zimmertüren wurden zentimeterweit geöffnet und wieder geschlossen.
    Ich stand auf, merkte, dass mir plötzlich übel wurde, und ging zurück ins Zimmer meines Bruders. Er lag immer noch auf dem Boden. Ich schob meinen Arm unter seine Brust, spürte das Blut auf seiner Haut. Es trocknete jetzt und wurde klebrig. Ich hob ihn vom Boden auf und trug ihn so, wie er war, mit dem Gesicht nach unten, zum Bett. Ein Tropfen Blut platschte auf meinen Fuß.
    Die Bezüge waren vom Bett gerissen, die Laken in Streifen zerfetzt; sie lagen, immer noch verknotet, auf dem Boden neben dem Stuhl. Sie hatten die Laken benutzt, um ihn zu fesseln. Er regte sich in meinen Armen, dann sackte er zusammen.
    Ich legte ihn behutsam aufs Bett, den Kopf zuerst, der vom Körper herabhing, als ob das Genick gebrochen wäre. Er hustete und wollte etwas sagen, ein nasser Laut, der wie Blut von seinen Lippen fiel.
    Ich drehte ihn auf den Rücken, sah die Spuren der Schläge. Die Zähne waren am Kiefer abrasiert, der Nasenrücken eingedrückt und seitlich verschoben, sodass er unter dem linken Auge hing. Die Augen waren zugeschwollen, eines von ihnen wirkte seltsam verdreht.
    Auf unerklärliche Weise wusste ich gleich, dass er das Auge verloren hatte.
    Auf Brust, Bauch und auf den Armen, mit denen er versucht hatte, die Schläge abzuwehren, waren Abdrücke zu sehen, auch überall auf dem Unterleib. Die meisten Abdrücke waren rot, manche, dort, wo sie ihn getreten hatten, blau und geschwollen.
    Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte.
    Sie kam einen Augenblick später ins Zimmer und schlug die Hand vor den Mund.
    Es war nicht klar, ob es am Anblick meines Bruders lag oder, was mir wahrscheinlicher schien, an der Flasche, die man mir über die Stirn gezogen hatte: Mir wurde übel. Ich ging ins Bad, trank einen Schluck kaltes Wasser aus dem Hahn und übergab mich ins Becken. Als ich wieder ins Zimmer kam, saß sie bei ihm und hielt seine Hand. Sie hatte nicht versucht, das Blut in seinem Gesicht abzuwischen. Sie saß nur da und hielt seine Hand, mehr konnten wir beide nicht tun.
    »Ich habe die Rezeption angerufen«, sagte sie. »Der Krankenwagen muss bald hier sein.«
    Ich hob auf, was vom Laken übrig geblieben war, und deckte ihn damit zu. »Was ist passiert?« fragte ich.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich habe es durch die Wand gehört, einer von ihnen schrie, dein Bruder flehte sie an ...«
    »Er hat sie angefleht?«
    »Ja, angefleht«, wiederholte sie, »einfach nur angefleht.«
    Er bewegte sich unter seinem Laken, drehte den Kopf auf dem Kopfkissen.
    »Es muss lange gedauert haben«, sagte ich, und für einen Moment traten mir Tränen in die Augen, das Zimmer begann sich zu drehen. Ich ging noch einmal ins Bad und trank wieder Wasser aus dem Hahn. Ich betrachtete mich im Spiegel. Wo mich die Flasche getroffen hatte, reichte die Schwellung bis hinauf zum

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