Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
Vom Netzwerk:
nicht, dass der Erholungsprozess ein anderer war.
    Ward redete an diesem Abend nicht mit uns, auch am nächsten Tag sagte er kaum ein Wort. Doch als mein Vater einmal aus dem Zimmer gegangen war, um seine Zeitung anzurufen, drehte mein Bruder den Kopf in meine Richtung, starrte mich einen Augenblick an und sagte dann: »Irgendwas ist schiefgelaufen, Jack.«
    »Nichts ist schiefgelaufen«, sagte ich. »Ich habe mit den Ärzten geredet.« Es folgte ein langer, leerer Moment.
    Er schloss das unbandagierte Auge und atmete tief ein und wieder aus, bis er eingeschlafen zu sein schien. Dann aber, ohne sein Auge zu öffnen, erzählte er mir, dass ihm die Ärzte nicht genug Betäubungsmittel gegeben hätten.
    »Ich war zu lange wach«, sagte er langsam. »Ich habe sie reden hören. Ich habe gespürt, wie sie die Knochen in meinem Gesicht angehoben und durchgesägt haben.«
    »Konntest du dich nicht bewegen?«
    Er schüttelte den Kopf und hielt sein Auge geschlossen. »Ich wollte einen Finger rühren«, sagte er, »ihnen ein Signal geben, dass ich noch immer bei Bewusstsein war, aber ich war wie gelähmt.« Und dann öffnete er sein Auge, und ich sah, dass die Ärzte ihm etwas angetan hatten, was den Matrosen nicht gelungen war.
    Er sprach kein Wort mehr von dem, was im Operationssaal geschehen war, wenigstens nicht zu mir, aber die Schatten dieses Tages blieben für immer. Man hatte ihm Angst eingejagt, und war dies einmal geschehen, wird man nie wieder derselbe.
    HIN UND WIEDER fragte mein Vater nach den Männern, die Ward zusammengeschlagen hatten, wie viele es gewesen waren, ob Schwarze oder Weiße. Er überlegte laut, wann die Polizei sie wohl schnappen würde.
    Ward reagierte nicht auf diese Fragen, tat sie nicht mal mit einer höflichen Floskel ab. Er starrte mit seinem verbliebenen Auge einfach nur an die Decke.

WIE DER REDAKTEUR AUS MIAMI es gesagt hatte, wurde die Story zur Tür hinausgestoßen und erschien in der Sonntagsausgabe. Mein Bruder sah sie erst, als sie bereits unter seinem und Yardley Achemans Namen gedruckt worden war. Die Schlagzeile nahm die obere Hälfte der Titelseite ein – DER SCHATTEN DES SHERIFFS LIEGT ÜBER MOAT COUNTY –, und der Artikel begann wie folgt:
    Offiziell hat Thurmond Call im Laufe seiner vierunddreißig Amtsjahre als Sheriff in Moat County siebzehn Menschen umgebracht. Sechzehn davon waren Schwarze. Offiziell war es der siebzehnte Tote – ein Weißer namens Jerome Van Wetter, verstorben 1965 bei seiner Verhaftung in Lately, der Bezirksstadt –, der das Ableben des Sheriffs nach sich ziehen sollte. Van Wetters Cousin, Hillary Van Wetter, Oberhaupt einer großen, gewalttätigen Familie, wurde für schuldig befunden, den Sheriff aus Rachsucht mit einem Messer angegriffen und ihn tödlich verwundet auf dem schmalen Highway zurückgelassen zu haben, der diesen Landstrich mit dem Rest der Welt verbindet. Doch obwohl Hillary Van Wetter inzwischen wegen Mordes offiziell verurteilt wurde und in der Todeszelle in Starke einsitzt, gibt es Hinweise darauf, dass er keineswegs der Mörder war. Inoffiziell weiß man dies in Moat County schon seit vier Jahren.
    Mein Vater war am Tag zuvor nach Hause zu seiner Zeitung gefahren. Fast drei Tage hatte er mit Ward in einem Zimmer verbracht und während der ganzen Zeit kaum ein Wort gesprochen. Ward hatte ihm nicht erzählt, was im Operationssaal geschehen war, und beklagte sich auch nicht über seine Schmerzen im Gesicht. Die Entzündung hatte sich ausgebreitet, alle sechs Stunden musste er Antibiotika nehmen.
    Als ich am Sonntagmorgen ins Krankenhaus kam, war die Zeitung vom Bett gefallen und lag zerfleddert auf dem Boden. Ich war schwimmen gewesen und hatte den Artikel dann bei einem langen Frühstück gelesen.
    Yardley Acheman hatte in erster Linie nicht über Hillary Van Wetter, sondern über Moat County geschrieben. Für ihn verkörperte Anwalt Pine sämtliche Bezirksanwälte, und Sheriff Call war ein Paradebeispiel für die Nächstenliebe aller weißen Bürger der Gegend. Das Finanzgebaren des Staatsanwaltsbüros und des Sheriffbüros wurde hinterfragt, und Verwandte von Bezirksangestellten wurden aufgelistet, die bei beiden arbeiteten, viele in Jobs, wo ihre persönliche Anwesenheit nicht unbedingt erforderlich war. Ein ungenannten Quellen zugeschriebenes Gerücht besagte, Rechtsverstöße und kriminelle Straftaten würden nicht vor Gericht, sondern »spätabends in rauchgeschwängerten Zimmern« abgehandelt.
    In Yardley Achemans Händen

Weitere Kostenlose Bücher