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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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Ausschau.
    Ich hoffte, Ward über den Weg zu laufen, damit er sah, wie allein ich in dieser Stadt war, damit er mich in sein Apartment mitnahm, mich zurück in den Schoß der Familie holte. Aber mir wurde schnell klar, dass es einfach zu viele Straßen und zu viele Menschen gab. Schließlich ging ich zur Zeitung, um ihn dort anzutreffen, da ich mir dachte, dass dies weniger aufdringlich sei, als vor seiner Türschwelle aufzutauchen.
    DIE NACHRICHTENREDAKTION war ein Gewirr aus Tischen, Telefonen und Schreibmaschinen, komplett in Rauch gehüllt, und ich ging unbemerkt hinein und fragte eine Frau, die ihren Schreibtisch vorne im Raum hatte, nach Wards Büro. Sie blickte nicht von ihrer Schreibmaschine auf, deutete aber mit ihren Fingern in kurzem Bogen nach hinten. Zwischen diesen ausgestreckten Fingern hielt sie einen Zigarettenstummel von der Größe eines Verlobungsringes.
    Ich durchquerte die Nachrichtenredaktion, ging an hundert Journalisten und Redakteuren vorbei, von denen keiner aufschaute, da sie instinktiv ahnten, dass ich nicht wichtig war, und fragte wieder nach meinem Bruder.
    ER SASS ALLEIN in einem Büro mit zwei Schreibtischen. Das Büro war kleiner als das Zimmer über dem Moat-Café in Lately, und es hatte kein Fenster, die Glasscheibe einmal ausgenommen, durch die man in den größeren Raum nebenan sehen konnte. Es roch nach Yardley Achemans Rasierwasser.
    Mein Bruder trug ein weißes Hemd und einen Schlips und las in einem gebundenen, mehrere Zentimeter dicken Dokument, das mir bekannt vorkam. Er hörte nicht gleich auf zu lesen, um zu sehen, wer zu ihm ins Zimmer spaziert war, sondern hielt einen Finger hoch als Bitte, ihn zu Ende lesen zu lassen. Dann blickte er auf und sah mich. Er hatte sein linkes Auge verloren und trug eine Augenklappe, außerdem hatte sich die Form seines Gesichts verändert. Es war irgendwie runder, sodass man einen Moment brauchte, um sich darin zurechtzufinden. Auf den Nasenflügeln waren kleine weiße Narben zu sehen, und zwei Zentimeter unterhalb seiner Unterlippe war eine längere Narbe, die sich dem Verlauf der Lippe größtenteils angepasst hatte, dann aber nach unten stieß, um gleich darauf wieder steil anzusteigen, sodass sie die Unterlippe im Mundwinkel schnitt. Beide Seiten neben der Narbe waren angeschwollen.
    Er lächelte, und die Narbe presste sich gegen die darunterliegenden Zähne, sodass er deutlicher seinem früheren Selbst glich. Er stand auf und beugte sich über den Tisch.
    »Wo bist du gewesen?« fragte er, und ich hörte ihm an, dass er sich freute, mich zu sehen. Ich merkte, wie mir die Tränen kamen.
    »In Miami«, sagte ich. »Hab mich umgesehen.«
    »World War sagte, es könnte sein, dass du hier auftauchst …«
    Einen Augenblick blieben wir stumm und schauten uns an. Nicht die Augenklappe, sondern sein rundes Gesicht zog meinen Blick auf sich. Es kam mir irgendwie nicht ungewöhnlich vor, ein Auge zu verlieren.
    »Er macht sich Sorgen«, sagte Ward.
    »Ich hatte ihm einen Zettel geschrieben.«
    »Auf dem nicht stand, wohin du gefahren bist.«
    Ich zuckte die Achseln, und mein Bruder machte es sich wieder gemütlich in seinem Sessel, lächelte immer noch und freute sich, dass ich da war. »Setz dich«, sagte er, aber der einzige leere Stuhl stand hinter dem anderen Schreibtisch. Ich zögerte, da ich daran dachte, wie Yardley Acheman das letzte Mal reagiert hatte, als er mich hinter seinem Schreibtisch fand.
    »Er ist für eine Woche fort«, sagte Ward.
    Ich setzte mich und spürte, wie der Sessel sich unter mir drehte. Ein weicher, gut geölter Sessel, besser als die Sessel, auf denen die Reporter und Redakteure im Hauptraum saßen. Außerdem war sein Schreibtisch aus Holz, nicht aus Metall, und die Schreibmaschine war eine nagelneue Underwood.
    »Er meinte, du hättest dir eine heiße Karre gekauft und seist auf und davon«, sagte Ward.
    Ich nickte, da ich nicht weiter darauf eingehen wollte. Mir kam es vor, als wäre ich unterwegs gewesen, seit ich mein Zuhause verlassen hatte. Ich sah aus dem Fenster und wiegte mich in Yardleys Sessel. »Yardley hat sich ein paar Tage freigenommen?« fragte ich.
    »Er feiert«, sagte er. »Der Staatsanwalt hat beschlossen, Van Wetter gar nicht erst wieder vor Gericht zu stellen.«
    »Er feiert oft.«
    Ward nickte und spielte mit dem Dokument auf seinem Tisch, richtete es an den Schreibtischkanten aus. Dann erkannte ich es wieder. Es waren die ersten hundert Seiten der Mitschrift von Hillary Van Wetters

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