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Papierkrieg

Titel: Papierkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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Verraucht und
gemütlich, die Wände vollgekleistert mit Veranstaltungsplakaten der letzten 30
Jahre. Auf den Tischen aus falschem Marmor wird ausgezeichneter Kaffee
serviert. Ich zahlte gleich, schließlich wollte ich sofort aufbrechen, wenn
Laura käme. Dann holte ich meinen MP3-Player aus meinem Jackett, suchte mir ein
Lied heraus und drückte auf Play.
    Ich hörte Jimi Hendrix, die Aufnahme aus der Royal Albert Hall, in
der er den Blues vom ›Bleeding Heart‹ spielt. Das Stück beginnt mit einem drei
Minuten langen Solo, das ähnlich wie eine Sonatensatzform aufgebaut ist. Es
gibt zwei klassische Bluesthemen, die ein Frage-Antwort-Schema bilden. In
mannigfaltigen Variationen kehren sie immer wieder, die Überleitungssequenzen
sind teilweise in klassischen Tonfolgen gehalten, die im zweiten Teil des Songs
als Antworten zu den Textzeilen vorkommen. Das Ganze schließt mit einer
todtraurigen zweiten Solo-Arie, die wieder in ein Wechselspiel mit dem Gesang
eintritt, aber nicht so klar strukturiert ist wie die erste. Reines Feeling,
reine Trauer.
    Als Jimi mit den Worten ›My girl caused my heart to bleed‹ schloss
und noch einen letzten Gitarrenseufzer folgen ließ, tauchte Laura auf der
anderen Straßenseite auf. Draußen hatte es zugezogen und die Tropfen fielen
hart und kalt vom Himmel. Es wurde langsam dunkel zwischen den alten Häusern.
Ich verstaute den MP3-Player und ging hinaus.
    Laura eilte auf der anderen Straßenseite,
eingewickelt in einen knielangen Mantel in smaragdgrün, Richtung Postgasse. Sie
hatte den Kragen hochgestellt und versuchte, so gut es ging, Regen und Wind zu
entwischen. Der Gehsteig war nass und die Pumps, die sie trug, machten die
Sache sicher auch nicht besser. Mit ein paar langen Schritten war ich neben
ihr. Im ersten Moment bemerkte sie mich überhaupt nicht. Als sie mich entdeckte,
war sie einen Augenblick lang unschlüssig, doch dann lächelte sie und blieb
stehen. Der Wind blies ihr die schwarzen Locken ins Gesicht. Sie versuchte, sie
hinters Ohr zurückzuschieben, aber im nächsten Moment befreite sie ein heftiger
Luftzug wieder und sie flatterten frei und wild. Laura zog sich die Kopfhörer
aus dem Ohr, neigte ihren Kopf, lächelte und fragte: »Sie?«
    »Ja, ich.«
    »Und, worum geht’s? Brauchen Sie wieder ein Taxi? Wie Sie sehen,
bin ich leider zu Fuß unterwegs. Diesmal kann ich Sie unmöglich mitnehmen. Und
auch wenn ich einen Wagen hätte«, Laura machte eine kurze Pause und kräuselte
die Lippen leicht, »würde ich Sie, glaube ich, stehen lassen.«
    »Kann ich Ihnen auch nicht verdenken. Vielleicht lassen Sie mich
alles wieder gut machen, …«
    »Ja?«
    »… indem ich Sie zum Essen einlade?«
    Laura blickte mich unschlüssig an, kaute ein bisschen auf ihrer
wunderbaren Unterlippe. »Nur, wenn Sie mich nicht wieder sitzen lassen.«
    »Sicher nicht.«
    »Gut, wohin wollen wir gehen?«
    »Am Luegerplatz gibt’s ein kleines Restaurant. Heißt Schimansky.
Dort ist es ganz nett.«
    »Kriegen wir dort jetzt überhaupt noch einen Platz, so auf die
Schnelle?«
    »Ich hab angerufen, die hätten noch einen Tisch für uns.«
    »Sie sind sich Ihrer Sache aber ziemlich sicher, ich weiß nicht,
ob mir das gefällt.«
    Sie beendete den Satz mit dem leisesten Hauch eines Lachens, das
irgendwo, weit hinter dem Gesagten, den Horizont ihrer Sprache erhellte.
    »Ich bin mir nur sicher, dass ich gerne mit Ihnen essen gehen
würde, alles andere liegt bei Ihnen.«
    Sie zog sich auch den anderen Stöpsel aus dem Ohr und verstaute
die Kabel irgendwo in den Innentaschen ihres Mantels. Das Smaragdgrün
harmonierte wunderbar mit dem Schwarz ihrer Haare. An einem Sonnentag wäre es
vermutlich zu auffallend gewesen, aber im windigen Regen, wo alles Grau in Grau
schien, war der Effekt einfach umwerfend.
    »Na gut: Gehen wir essen.«
    Also gingen wir. Ein paar Minuten später waren wir über die
Dominikanerbastei in die Biberstraße gelangt. Ich öffnete die Tür und schob den
schweren, dunkelgrünen Vorhang, der die Winterkälte draußen hält, zur Seite.
Wir traten ein.
    Das Schimansky ist sehr klein, es gibt nur ein Zimmer, das
vielleicht Platz für fünf oder sechs Tische bietet. In der Mitte des Raumes,
sofort nachdem man eintritt, führt eine Treppe hinunter zu den Küchen und
Sanitärräumen. Die Tischdecken sind weiß und dick, die Servietten stehen sauber
gefaltet auf den Untertellern, es riecht ganz leicht nach Kerzenwachs und gutem

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