Papierkrieg
Ahnung von Schnee und ein leichtes
Whiskyaroma. Außerdem hatte vermutlich jemand vor ein paar Tagen eine gute
Zigarre geraucht. Insgesamt wirkte alles schäbig und abgewohnt. Wie bei mir zu
Hause.
Als Aronofsky bemerkte, dass ich eingetreten war, hob er seinen
Kopf und sah mich mürrisch an. Er wies auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch
und wendete sich wieder seinem Kartenspiel zu. Mich würdigte er keines Blickes
mehr.
Nachdem ich ihn ungefähr eine Viertelstunde beobachtet hatte, er
legte eine Variante, die ich nicht kannte, wurde er endlich mit seiner Patience
fertig. Mir schien, er hatte ein wenig geschummelt. Er verstaute die Karten,
ein schönes Blatt, in einer Box, und verräumte diese in einer Schublade. Dann
bequemte er sich, sich mit mir zu beschäftigen.
»Wie kommen Sie zu meiner Nummer?« Aronofsky sprach mit leichtem
Akzent, aber so sehr ich mich auch anstrengte, ich kam nicht dahinter, wo seine
sprachliche Heimat lag. Außerdem hatte er die Manie, die Worte eines Satzes
ineinanderfließen zu lassen, sodass seine Aussagen wie monolithische Blöcke
wirkten. Allerdings nur in den Sätzen, die aus mehr als einem Wort bestanden,
was nicht viele waren. Aronofsky sprach nach dem Motto ›Kein Wort zu viel‹.
Cäsar hätte an dem Knaben seine liebe Freude gehabt.
Da er dabei auch je nach Gelegenheit Buchstaben verschluckte und
Bindevokale hinzufügte, war er sprachlich gesehen eine absolute
Ausnahmeerscheinung.
»Eine ehemalige Klientin von mir hat Sie empfohlen.«
»Wer?«
»Laura Lignamente.«
»Sagtmirnichts, derName. Wie siehtsieaus?«
»Dunkelhaarig, mitternachtsblaue Augen …«
»… Gazellenbeine und Apfelbrüste?«,
unterbrach er mich.
»Genau.«
»Kennichnichdie Dame«, schnurrte er und griff nach der Schublade
mit seinen Karten.
Auf dem Schreibtisch standen eine Teekanne und eine Schale neben
losen Blättern, Notizbüchern und dem Krimskrams der letzten Jahre.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir eine Tasse anzubieten? Es ist
kalt hier drin und irgendwie ungemütlich.«
»Geht nicht.«
»Wieso?«
»Weil das nur ’ne Attrappe is. Haben mir Gas und Strom
abgestellt.«
»Dann hätten Sie vielleicht die Freundlichkeit, mir eine Schale zu
leihen, Tee hätt ich selber.«
Seine Augen blitzten auf. »Wassfüreinen?«
»Grün, japanisch, Sencha.«
»TeeGschwendtner?«
Ich nickte.
»Augenblick.« Er stand auf, verschwand in
der Tür und kam mit zwei weißen Schalen zurück. Meine war mit einem Zweig
geschmückt, seine mit einem Zweig und einem Vogel. Als Nicht-Ornithologe würde
ich nicht meine Seele verwetten, aber der Piepmatz auf seiner Schale sah aus
wie ein Rotkehlchen.
Ich kramte die Thermoskanne aus meiner Tasche, schraubte auf und
goss den noch dampfenden Tee ein. Schweigend griffen wir nach unseren Schalen
und hoben sie zur Nase, sogen den leichten Duft ein und nippten genießerisch.
Wir seufzten beide behaglich.
»Ihre Kanne ist Bullshit. Die versautdenTee.« Aronofsky war ein
Original, irgendwie schloss ich den Kerl in mein Herz.
»Besser als gar keiner.«
Aronofsky griff nach meiner Kanne und schenkte sich nach. Dass der
Tee seiner Meinung nach schrecklich war, schien ihn nicht zu stören. Die Kanne
stellte er direkt vor sich in Reichweite auf den Tisch. Er ließ sie nicht mehr
aus den Augen.
»Also, waswollenSie?«
»Eine Auskunft.«
»Geb ich nicht.«
»Was haben Sie für Frau Lignamente gemacht?«
»Diskretion ist oberstes Gebot.«
»Ihre ehemalige Auftraggeberin ist Anwältin für meinen Boss. Er
misstraut ihr und will wissen, was Sie genau bei Ihnen in Auftrag gegeben hat.
Außerdem bestünden Ihnen gegenüber noch gewisse Unregelmäßigkeiten finanzieller
Natur. Ich soll das bereinigen, je nach Gutdünken.«
Beiläufig holte ich einen 100-Euro-Schein aus der Innentasche
meines Mantels und legte ihn vor mich auf den Schreibtisch. Dann strich ich ihn
glatt.
»Wie heißtIhrBoss?«
»Bender.«
»Siehtwieaus, der Kerl?«
»Uralt, graues dünnes Haar …«
»… tiefliegende Augen und Totenschädel?«
»Genau.«
»Nochniegesehn.«
»Kann ich mir denken. Und was haben Sie nicht gemacht?« Wieder
ließ ich meine Hand in meine Innentasche gleiten und holte einen zweiten
Hunderter heraus.
»Einen Kerl unter die Lupe genommen. Spieler, Pole, Sliguowski
oder so ähnlich.«
»Worum ging’s?«
»Gazellenbein und Totenkopf wolltenwissen, was der mit ihrem Geld
machte.«
»Und was machte der mit ihrem
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