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Papierkuesse

Papierkuesse

Titel: Papierkuesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pali Meller
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man halbfertig sprechen kann, denn wenn ich Dich sehe, so ergänzt Dein Gesicht, Dein Auge, Deine Bewegung, also das »Gefühlsmäßige« Deine Gedanken. Dinge, die alle im Brief fehlen! Daher ist das Geschriebene nie die Wiedergabe des gesprochenen Wortes, sondern ein Werk für sich!! Im Brief vom 12. schrieb ich Dir als Beispiel Sätze hin, wie Du sie schreibst, und wie sie geformt sein könnten. Weiterhin versuchte ich auf 25 Zeilen den Inhalt von zehn Deiner Seiten zu fassen. Dann ging ich auf einzelne Punkte Deines mir so lieben und tapferenBriefes ein. a) Die Willenskraft lässt sich wie ein Muskel üben, im täglichen Erproben, im stündlichen Einsatz. Sie ist eine gefährliche Kraft, denn sie kann Flammen entfachen, die zum Himmel heben oder zur Hölle treiben. b) Es stimmt nicht, dass Begabung und zäher Wille zum Erfolg beim Theater und Film führen muss. Von rund 35   000 Menschen, die in Hollywood sich täglich anbieten, ergattert kaum jeder einen Dollar pro Tag als Durchschnittsverdienst. Und doch sind alle, verblendet durch die Erfolge der Plakatgrößen, voller Hoffnung auf ihr großes Los. Und beurteilt wird ihr Wert und Können von eiskalten Rechnern, die sich nur fragen: »Was verdien’ ich durch diesen Kerl?« Von tausend Menschen, die Metallarbeiter werden wollen, nimmt die Industrie gerne 900 auf und 80 von l00 Flugzeugkonstruktören erreichen ihr Lebensziel. Wenn sie auch keine Riesengagen, sondern Lohntüten und Gehalt heimbringen, so werden sie doch wissen, dass sie zur Fortbewegung dieser Welt mehr beigetragen haben als jene viel bewunderten Eintagsfliegen. c.) Wenn ich von Opfern spreche, so meine ich nicht den Tod, denn dieser hat keine Beweiskraft. Der Heiland hat durch sein Leben und nicht durch seinen Tod die Menschheit erlöst. Für eine Idee leben ist oft schwerer, als für sie zu sterben! Opfer ist der Einsatz ohne Eigennutz, die Liebe ohne Vorteil, der Verzicht auf bequemes Behagen. Solche Opfer kann man 1000 x bringen, sterben kann man nur einmal!
    d.) Bei den Lebenszielen verheddern sich Deine Gedanken: denn beim Schauspieler sprichst Du von Erfolg und Sieg als Endziel. Also selbstgefällige Eitelkeit,wobei Du eigentlich das Geld meinst, das Dich zum nächsten Ziel führen soll. Beim Erzieher aber siehst Du das Ziel in der Gegenliebe des Betreuten! Also wieder Selbstsucht! Der Erzieher setzt sich und sein Wissen und Können als Führer der Jugend ein, zum Erschließen einer Welt der Wahrheit, Schönheit oder [des] Glücks unbeachtet dessen, ob er dafür geliebt, gehasst, gekrönt oder gesteinigt wird! Und das meinst eigentlich auch Du! Denn Dein Ziel ist: Hilfe für andere durch die Tat!! e.) Du fällst im Sturz auf Dich selbst, ohne mich – zu erdrücken – sagst Du. Ich aber will, dass Du weißt, dass meine Hand (auch wenn sie wie jetzt nur die Feder führen kann) immer helfend da sein will, wenn Du über schwere Pfade schreitest, da ich Dein Freund bin und nicht Dein »besser wissender Papa«! Dass meine Zeichnungen Dir gefielen, hat mich sehr gefreut. Ich bin weiter fleißig, vielleicht schicke ich Dir noch andere Bilder. Ich empfehle Dir, das Inselbuch »Der Kornett« von Rainer Maria Rilke zu kaufen und oft und laut zu lesen und mir dann darüber zu schreiben! 16 Schluss für heute! Sei innig geküsst und umarmt von Deinem Papa.
    Geliebte Barra!! Wie ein Kunstfreund ein Bild 100 x ansehen kann, so schaue ich Deine Briefe an. Du hast den Blick fürs Wesentliche, und was Du an Gefühlen zeigst, wirkt wahr durch seine Klarheit. Ich will wissen, was Ihr tut, denkt, hofft und wollt, und das zeigen Deine Briefe meisterhaft gerade in ihrer Kürze. Daher danke ich Dir dafür. Im nächsten Brief höre ich wohl über Eure Zeugnisse. Ich bin sehr gespannt. Millionen Pussis von Papa.

[17]
    Bln. Plsee‚ den 29.   7.   1942
     
    Meine Lieben! Heute kam Euer Brief vom 23. an, in dem Du Pila, die Kürze nutzend, kein Wort über Dein Zeugnis verlierst. Wie ist es damit?
    Bis jetzt habt Ihr, durch das grässliche Wetter, nichts verloren (stellt Euch vor, jetzt an der See zu sein!) und so ein bißchen Bummel zwischen Jena, Berlin und Mücke entspricht Euch auch mehr, als das sesshafte Sommerfrischlerdasein. Vielleicht kommst Du auch aus Schillers Jena nach Goethes Weimar hinüber, denn es ist schön, in Gedanken versunken auf Pfaden zu wandern, wo große Menschen gingen, lebten, dachten, hofften und sich selber fanden.
    Dein Brief war lieb und tapfer. Das Bild, das Du entwirfst: ein

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