Papierkuesse
Euer Leben schreiben! Und Franzi schreibt mir auch 1/3 des Briefes. Ich habe mich beim letzten Besuch so gefreut, dass ich lauter Unsinn redete, statt zu zeigen: Mensch Franz, wie schön, dass Du da bist!!
100 000 Küsse Euch dreien von Papa.
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29. 10. 42
Liebe Franzi! Komische Sachen gibt es. Gestern (nachdem ich rund acht Wochen in Brandenburg bin), wurde ich vorgerufen, bekam meine Zivilkleider wieder an (frisch gebügelt und entfleckt) und wurde nach dem Alex in Berlin gebracht. Was soll das heißen? Auf alle Fälle, dass ich nicht nach Brandenburg zurückkomme. 1* Im Augenblick, dass ich etwas weiß, werde ich versuchen zu schreiben! Ich habe Euren Brief vor ein paar Tagen erhalten und mich riesig gefreut. Nur Ihr Brief war etwas kurz, was umso schmerzlicher ist, da gerade Ihre Worte mir größte Freude und tiefstes Bedürfnis sind. In diesem neuen Schwebezustand (zwischen 200 Menschen im Saal) bin ich weder erregt noch richtig neugierig. Eher nur interessiert, wie bei einem guten Roman. Man sieht die Verwicklung, steht aber außerhalb. Ich gucke mir also (seit acht Monaten schon) den Film PM an, ohne mich auch nur für fünf Sekunden mit ihm zu identifizieren.
An Euch drei denke ich aber stets, und da bin ich richtig dabei. Mit viel Liebe, die aus der Tiefe kommt; bei Dir Franz gepaart mit Dankbarkeit und nagender Reue! Macht’s gut, Ihr Lieben, hofft mit mir auf schönere Akte in meinem Film, der bis jetzt recht gütig und mild zu mir war! Viele Küsse P.
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11. 11. 42
Liebste Franzi! Haben Sie meine beiden Briefe nicht erhalten? Sehnsüchtig warte ich auf Sie. Also mein Fall liegt wie vor: aus Brandenburg bin ich plötzlich in Zivilkleidung entlassen worden mit unbekanntem Ziel. Es ging zum Alex in Berlin, von wo ich Ihnen sofort schrieb. Nach etwa zehn Tagen hieß es, dass ich entlassen werde. Man brachte mich zur Burgstraße 25 , von wo aus ich durch Hilfe von zwei jüdischen Ordnern ins Altersheim in die
Große Hamburgerstraße 26
gebracht wurde. Dies ist ein Sammellager für Juden, die nach Polen evakuiert werden sollen. Scheinbar soll ich also mit Straferlass meiner sechs Jahre Zuchthaus abgeschoben werden. Ich habe sofort wieder an Sie geschrieben (diese Briefe werden herausgeschmuggelt) und warte seither vergeblich auf Sie. Man kann hier sogar täglich Besuch empfangen, und wenn man mal nicht durchkommt, so versucht man es am nächsten Tag nochmals. Auch kann man etwas zu essen mitbringen. Solche Pakete werden auch ausgehändigt, wenn der Besuch auch eventuell nicht vorgelassen wird. Ich habe jetzt acht Monate furchtbar gehungert und hier ist es zehnmal so gut wie im Zuchthaus. Aber wenn man 40 Pfund abgenommen hat, ist man ewig hungrig. Bringen Sie mir, wenn Sie also können, etwas mit. Belegte Stullen, ein gutes Brot, vielleicht eine Schrippe, etwas Marmelade und Zucker. Oder etwas Gemachtes: kalte Pfannkuchen, Kartoffelsalat oder ganz egal, was Ihr entbehren könnt. Und noch eine schwerere Bitte!!Etwas zu rauchen!!! Opfern Sie mal 1 – 2 Punkte für mich. Kaufen Sie mir Priem (Kautabak). Davon kann man sich fast 20 Zigaretten machen; dabei kostet es nur 1 Punkt. Ich habe die leise Hoffnung, dass ich auf Grund meiner privilegierten Ehe mit einer Arierin trotz meines Hierseins nicht abgeschoben werde, weil hierfür keine gesetzliche Handhabe vorliegt. Wer weiß es aber? Ich muss über all das mit Ihnen sprechen und warte voll brennender Sehnsucht auf Sie.
Küssen Sie die Kinder Ihr PM
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(ohne Datum, ca. 20. 12. 1942)
Liebe Franzi, dies ist der Xte Brief an Sie, ohne dass ich weiß, ob einer Sie erreichte. Euer Telephon scheint auch tot zu sein. So weiß ich nicht, wo Ihr seid und was Ihr tut. Ich will daher nochmals meine Wanderung der letzten Zeit beschreiben:
Am 4. September kam ich nach Brandenburg, ein ganz modernes recht freundliches Zuchthaus, hygienisch mit sonnigen luftigen Zellen. Zu dritt im Raum, mit geschorenem Schädel wurde ich zur Schneiderei umgeschult, lernte Maschinenähen, Hemden und Hosen reparieren, Flicken einsetzen und warf recht brav mit Worten wie Kappnaht, umbücken und offenkenntlicher Flick um mich. Bei zehn Stunden Arbeitszeit und schwächster Kost (ich habe vierzig Pfund abgenommen) lebte ich mich rasend schnell ein und schaffte in kürzester Zeit zwei bis zweieinhalb Pensen im Tag, obzwar ein Pensum z. B. im Flicken von zehn Hemden, fünfzehn Hosen oder dreißig Bettlaken bestand. Wie überall seit meiner Reise
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