Papierkuesse
Fresspakete hatten, und den Habenichtsen, aber ich wurde als Gast der Reichen aufgenommen. Nach ein paar Tagen suchteman Leute für ein Arbeits-Außenkommando und seit fünf Tagen bin ich mit 15 Kameraden auf Außenarbeit. Prachtvolle Kameraden, herrliche Kerle. Dazu Bauarbeit in Gottes freier Natur. Und was wichtiger ist als alles: die Möglichkeit, mit der Außenwelt in Verbindung zu kommen! Ich schrieb sofort einen Brief an Euch (es war am Weihnachtstag), ein Bote brachte das Schreiben nach der Knobelsdorffstraße und mir die bereits geahnte, gefürchtete Nachricht, dass Ihr dort nicht mehr wohnt. Ich ließ schon früher mal telefonieren und hörte, dass der Anschluss nicht mehr besteht! Dann kam Weihnachten. Wir verlebten den Abend und die »Feste« wie Männer. Ohne Sentimentalität, ohne viel Worte und Gedanken, froh mit gefülltem Magen. Überhaupt dieser Magen! Seit neun Wochen knurrt er nicht mehr, ich glaube sogar, viel zugenommen zu haben. Jetzt zur Sache mein Gutes: Du sollst mich besuchen! Du kannst gefahrlos für alle zu mir kommen, und Du wirst den Weg laut beigefügtem Plan leicht finden. Und komme sofort, denn wer weiß, wo ich wieder verschickt werde, und bringe mir mit: 50 RM, l großes Brot, Marmelade, Zucker, etwas Margarine oder was ihr sonst entbehren könnt. Vielleicht etwas Kuchen (ich weiß nicht mehr wie so was schmeckt!)
Ich zittere vor Angst, dass ich weg sein könnte, bevor ein Wiedersehn erfolgt. Ich bete zu Gott, dass mir dies glückt.
Es küsst Euch 3 in Liebe Pali
Anbei der Plan.
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30. 12. 42
Prost Neujahr! Hoffentlich habt Ihr durch Frau Poelzig meinen Brief erhalten. Ich erfuhr durch telefonischen Anruf, dass Ihr in Merzig 27 seid, leider aber weiß ich nicht, ob Ihr nur für die Weihnachtstage oder für immer nach dort gezogen seid. Ich habe inbrünstig gehofft, dass Frau P. mich heute hier auf der Baustelle besuchen wird. Entweder erhielt sie meinen Brief nicht, oder sie hatte keine Traute! Mein Glaube an Freundschaft ist heute etwas angeknickt. Vielleicht kommt sie morgen. Der Optimist in mir ist ja nicht zu töten.
Wie glücklich bin ich aber, dass ich wenigstens weiß, wo ihr steckt. Ich kann daher besser an Euch denken und meine Sehnsucht kennt wenigstens die Flugrichtung.
Ich arbeite auf dem Bau als Zwischending von Ingenieur und Arbeiter und fühle mich sehr gut, kräftig und gesund. Ich könnte gerne das Kriegsende hier abwarten. Aber soviel Glück hat man nicht! Ich kann stündlich hier abgerufen werden ins Ungewisse. Aber ich kenne keine Angst. Wer wie ich vor zehn Monaten eine Abrechnung mit dem Schicksal gemacht hat, der ist bloß noch Zuschauer seines eigenen Geschicks. Und irgendwo leuchtet mir doch immer noch das Glück! Wer hat es denn schon je erlebt, dass sich Zuchthaustore, die sich für »sechs Jahre« hinter einem schlossen, bereits nach 56 Tagen öffnen, und wenn man auch nicht ins »Leben« zurückkehrte, so doch in eine Umgebung,die zulässt Schicksal zu haben. Denn hinter Stahltüren gibt es kein Schicksal. Da nutzt die schönste Linie in der Hand nur einen Dreck! Ich denke nach wie vor nur an Euch drei. Ich träume von Euch, und ich liebe Euch und nur eine Angst beseelt mich: was habt Ihr abgekriegt vom Schlag, der mich traf? Warum seid Ihr aus der Wohnung? Habt Ihr Sorgen?
Es küsst Euch innig in niemals endender Liebe Papa.
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Postkarte mit Poststempel vom 3. 2. 43
Frau M. Poelzig z. H. Paul und Barbara Meller
Berlin Chlbg. 9, Hölderlinstr. 11
aus dem Zuchthaus Brandenburg Görden, Nr.: 66o/42
Meine Lieben, ihr werdet staunen, dass ich wieder im Heimathafen gelandet bin. Aber der Kampf hat allseitig mit dem Sieg geendet, und so wurde ich weder evakuiert noch kam ich ins KZ. Eine dreimonatige Reise – sonst nichts! Jetzt muss ich aber sofort von Euch hören! Der letzte Brief erreichte mich am 23. X. Seither stoppt alles! Was macht Ihr, wo wohnt Ihr!? Was macht die Schule, mein Vater? Meine Schwester. Die Schrift ist etwas wirr! Aber ich habe etwas Grippe und da wackelt die Hand! Was machen Barras Zähne. Ja nichts versäumen.
In der Alten Hamburger 26 liegen meine Uhr und 38 RM. Gehen Sie hin mit Vollmacht und lassen Sie sich’s rausgeben.
Seid tausendmal geküsst Papa
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Postkarte mit Poststempel 18. 3. 43
Paul und Barbara Meller
Berlin Falkensee, Siemensstr. 21
aus dem Zuchthaus Brandenburg Görden
Meine Lieben! Ich liege zwar noch immer im Bett, aber es geht mir gut, und ich
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